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Helmut von Berg: Die Zukunft will erobert werden

Helmut von Berg: Die Zukunft will erobert werden

Wenn ich darüber nachdenke, was sich in den zehn Jahren getan hat, in denen ich zunächst für das Forum Verlagsherstellung und in der Folge für seine Weiterentwicklung Publishers’ Forum in Berlin verantwortlich war, geht mir ein Schachbegriff durch den Kopf: Tempoverlust.

Er umschreibt, wie man im Spiel einen Zug in Rückstand gerät und damit womöglich das ganze Spiel schon früh verliert. Schach veranschaulicht, dass das Spiel aufgenommen wird, um zu gewinnen. Man braucht dazu eine strategische Idee und den Willen, zum Ziel zu kommen. Unentschlossenheit oder Zögerlichkeit führt zu Tempoverlust, dem ersten Schritt in die Niederlage. Die Geschichte des Publishers‘ Forum dokumentiert demgegenüber den Weg, die Herausforderungen anzunehmen, um einen Platz in der Zukunft zu gewinnen.

1994 ahnt noch niemand etwas von Self-Publishing

Das „Börsenblatt“, aus dem ich zitiere, datiert aus dem Jahr 1993. Es belegt, dass die Welt schon vor 20 Jahren ein Verständnis neuer Möglichkeiten bereithält:

„Das Medium selbst legt nahe, die bearbeiteten Informationen im Verhältnis zum klassischen Buch in zusätzlichen Dimensionen anzubieten, die in einem Buch nicht realisiert werden können, aber ein tieferes und weiteres Verständnis der Information gewährleisten?…“ (Börsenblatt 57, 1993).

1994 sind die „Perspektiven der Herstellung“ noch weiter gefasst:

„Autoren werden … vom ideellen zum materiellen Erzeuger, der seine Gedanken in plattformunabhängige und letztlich weltweit verfügbare Formen bringen kann, die ein inhaltliches und technisches Zwischenstadium der Veröffentlichung nicht mehr zwingend erfordern. Um so mehr werden Verlage darauf angewiesen sein, sich durch inhaltliche und technische Kompetenz für den Prozeß der Veröffentlichung und des Informationsaustauschs unentbehrlich zu machen“ (Börsenblatt 49, 1994).

Die Rechtschreibung ist der Zeit geschuldet und von Self Publishing ahnt noch kein Mensch etwas. Aber Zusammenhänge, die der technologischen Entwicklung entspringen, sind erkenn- und denkbar.

„Content“-Begriff braucht Neubestimmung

Im Januar 2003 formuliere ich unter dem Titel „Die Buchbranche heutiger Struktur wird es in 5 Jahren nicht mehr geben“ meine Erwartungen zur Entwicklung der nächsten Jahre. Zusammengefasst lautet die Botschaft: „Wir werden kommunizieren und kooperieren.“ Sie ist heute längst Bestandteil erfolgreicher Geschäftsmodelle. Sie ist zugleich die Basis meiner Arbeit seit 2004.

Unter dem Titel „Ist der Content richtig organisiert?“ geht es am Jahresende 2008 im buchreport.magazin darum, dass wir eine Neubestimmung der Begriffe brauchen, mit denen wir gewohnt sind, zu arbeiten:

„Wesentliches Merkmal der Entwicklung ist die Ablösung von Begriffen, die es nicht mehr leisten, die veränderten Verhältnisse richtig und vollständig zu beschreiben.

Content beschreibt Inhalt deutlich umfassender, nämlich Texte wie auch Abbildungen, Tabellen wie Animationen, Foto- wie Videoillustrationen.
Workflow adressiert Arbeitsabläufe nicht nur, um sie zuverlässig zu beschreiben, sondern darüber hinaus auch effektiv zu organisieren.
Ein eWarehouse stellt Strukturen bereit, die es ermöglichen, Inhalte nicht nur zu finden, sondern auch zu Einheiten zusammenzufassen, die u.U. nur für diesen einen Zweck Sinn machen und im selben Moment als Produkt zu erwerben sind.
Der Zugang zu diesen nach eigenen Bedürfnissen geordneten Inhalten erlaubt nicht nur, sie schnell zu identifizieren und für die Zwecke der Nutzung zu ordnen, sondern auch die dafür notwendigen Rechte unmittelbar zu erwerben.
Die Metapher Print ist hierfür keine ausreichende Verständnisgrundlage mehr.“

Antworten statt Abwehrhaltung

Zur Halbzeit der Dekade benennt das Programmangebot des Forums, was zu schultern ist, um im Konzert von Digital Publishing mitzuspielen. In der Konsequenz geht es um Datenbankkonstruktion, XML-Einsatz und Semantik als Voraussetzung für die Unterstützung digitaler Suchverfahren. Deren Treffsicherheit hängt nicht zuletzt – Context! – von vorab definierten und organisierten Nutzungsumgebungen ab.

Zunehmend bewegt sich auch das Thema rechtlicher Rahmenbedingungen:

„Die Diskussion in der Branche dreht sich zu vordergründig um die Frage, wie sich wirtschaftlicher Wert von Content realisieren lässt, und viel zu wenig um die Frage, was unabhängig davon seinen inhaltlichen Wert ausmacht. In der Folge bleibt es de facto Branchenfremden überlassen, Fakten zu schaffen. Statt schlicht eine Abwehrhaltung zu verteidigen, sollten wir das Thema sinnvoll ordnen und versuchen, zukunftsgerichtete Antworten zu finden“ (buchreport.express 1/2012).

Content und Context

Eine auf dem aktuellen Stand der Diskussion beruhende Zusammenfassung am Ende des Jahres 2012 trägt den programmatischen Titel „Publishing der Zukunft ist ,Vernetztes Publizieren’“ im Blogpost der Publishers‘ Forum-Website im Dezember 2012:

„Erfolgreiche Nutzung als Maßstab für Markterfolg … Markt wird durch Bedürfnisse definiert, die sich in konkreten Erwartungen hinsichtlich der Nutzung niederschlagen, Markterfolg wird sich mithin über die Befriedigung der Bedürfnisse und Erfüllung der Erwartungen herstellen. Man kann diesen Zusammenhang auch als Werthaltigkeit beschreiben, welche Monetarisierung überhaupt erst ermöglicht …

Nutzungsumgebung und ,Context? Hier ist wiederholt von ,Nutzungsumgebungen? die Rede, verbunden mit dem Hinweis, dass Content dann werthaltig ist, wenn er in solchen Umgebungen erfolgreich und zufriedenstellend genutzt werden kann. Und wie schon bei Content möchte ich den Begriff in seiner englischen Form Context verwenden, um ihn so von nicht näher definiertem Gebrauch abzugrenzen …“

Nutzer honorieren Qualität

Hier die knappe Zusammenfassung der Entwicklung der Diskussion in den Berliner Foren:

  • Das digitale Medium legt nahe, zusätz?liche Dimensionen anzubieten.
  • Autoren werden zum materiellen Erzeuger in letztlich weltweit verfügbaren Formen.
  • „Wir werden kommunizieren und kooperieren.“
  • „Print“ ist angesichts neuer Technologien keine ausreichende Verständnisgrundlage mehr.
  • Welcher wirtschaftliche Wert von Content realisiert werden kann, hängt unmittelbar von der konsistenten Aufbereitung seines inhaltlichen Wertes ab.
  • Publishing der Zukunft beruht als „Vernetztes Publizieren“ auf der erfolgreichen Neubestimmung von Rollen und dem flexiblen Spielraum ihrer verantwortlichen Interaktion.
  • Bekannte und selbst noch unbekannte Nutzungsanforderungen müssen in der Content-Aufbereitung von Beginn an berücksichtigt und ermöglicht werden.
  • Werthaltigkeit beschreibt den Zusammenhang zwischen Nutzungserwartungen und ihrer möglichst barrierefreien Erfüllung.
  • Nutzer honorieren Qualität.
  • „Context“ ist eine notwendige Herausforderung für Kreativität und Flexibilität.

Abwehrverhalten bedeutet „Tempoverlust“

Diese Antworten auf unvermeidliche Herausforderungen erfordern eine strategische Besinnung und Planung, die die eigene Zukunft im Publishing bestimmt und sie zu sichern in der Lage ist.

Jedes Abwehrverhalten, das einem misslichen Verständnis von Bewahren entspringt, ist dabei hinderlich. Es bedeutet „Tempoverlust“, einen Nachteil, der nur sehr schwer wieder wettzumachen ist.

Von Helmut von Berg

(aus buchreport.spezial: Herstellung & Management 05/2014)

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