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Wischiwaschi-Urteile sind schlecht

Bei der verstärkten Suche nach Möglichkeiten, Bücher sichtbar zu machen und empfehlen zu lassen, werden den Buchverlagen bei der Verwendung klassischer Rezensionen die Hände gebunden. Im Interview bilanziert Michel Clement, Professor für Marketing und Medienmanagement an der Universität Hamburg, das Urteil im Streit von buch.de und „FAZ“ um Kritiken-Auszüge.
Der Streit um die FAZ-Rezensionen akzentuiert den werblichen Aspekt von Literaturkritik: Ist deren Funktion so schlicht?
Wir unterscheiden drei Funktionen einer Rezension. Der Werbeeffekt besteht darin, dass ein Titel aus dem riesigen Angebot überhaupt besprochen wird, ein Buch wird bekannt. Das zweite ist der Informationseffekt, er reduziert die Unsicherheit bei den Konsumenten, ob das Buch inhaltlich, thematisch und vom Genre her in Frage kommt oder nicht, die Besprechung kann damit positiv oder negativ auf eine Kaufentscheidung wirken. Dann gibt es schließlich den Ankereffekt der Bewertung.

Wie entscheidend ist ein positives Urteil?

Nur Wischiwaschi-Urteile haben keinen Effekt. Der Ankereffekt funktioniert, wenn der Kritiker pointiert wertet. Auch negative Urteile können zum Kauf reizen, auch Verrisse machen interessant. Besonders stark ist der Effekt, wenn der Leser den Kritiker kennt und einschätzen kann, ob er auf dessen Linie ist oder der Verriss für ihn selbst sogar einer Empfehlung gleichkommt. Besprechungen haben also alles in allem keine schlichte Werbefunktion, außer der, dass das Buch im Gespräch ist.

Die Verlage haben den Eindruck, dass gedruckte Rezensionen deutlich an Einfluss verloren haben … 

Die Tendenz wird sich auch fortsetzen. Erstens werden insgesamt weniger Zeitungen und Zeitschriften gelesen. Zweitens haben die zahlreichen unprofessionellen Besprechungen etwa bei Amazon mittlerweile einen messbar größeren Effekt. Das ist auch nicht verwunderlich, weil ich dort schon vor der Kaufentscheidung stehe. Ich muss natürlich auf das Buch stoßen.

Das führt zur größten Sorge der Verlage, dass ihre Bücher immer schwieriger wahrgenommen werden: Das Schaufenster Buchhandel wird kleiner, Kataloge (Weltbild, Club) verlieren, Online-Communities kompensieren das nur zum Teil. Was tun?

Es ist ganz banal – einen noch stärkeren Fokus auf den Vertrieb. Die Verlage müssen zudem genauer schauen, zu welchem Zeitpunkt sie und der Wettbewerb einen Titel bringen. Sie müssen flexibler sein, vergleichbar etwa mit Filmverleihern, die genau auf die Konkurrenzlage schauen und mit den sich konzentrierenden Vertriebsschienen genauer über den Auftritt verhandeln.

Sind so viele Titel …

Das Geschäft wird sich auch noch stärker auf Toptitel konzentrieren.

… und es werden immer mehr und sei es durch Selfpublishing.

Ich glaube nicht an Selfpublishing. Die Leute gehen doch nicht zum Verlag des Publishing wegen, sondern wegen der Vermarktung. Da müssen die Verlage allerdings besser werden, wenn ich nur an das unterirdische Marketing im Wissenschaftsbereich denke.

Und wo sieht der Marketing-Prof Reserven angesichts der bescheidenen Werbeetats?

Verlage neigen dazu, vor allem die Bücher von Stars zu bewerben, die sich sowieso gut verkaufen. Werbung wirkt jedoch stärker bei unbekannteren Autoren – da sollte man testweise ansetzen und ein größeres Budget in den Aufbau weniger neuer Autoren investieren.

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