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Es gibt kein stabiles Geschäftsmodell am Markt

Das 10. Kapitel der Verlagsgeschichte („Die 2000er-Jahre“) hat Joachim Schmidt geschrieben. Der 49-Jährige ist seit 1998 Verleger der dritten Generation und beschreibt seinen Berliner Fachverlag Erich Schmidt in einer „hoch innovativen Phase“, in der alles im Fluss ist, geprägt von digitaler Transformation und einer äußerst volatilen Gesellschaft: Der Anteil stabiler Entwicklungen schwinde und alle Bereiche des Unternehmens sowie der gesamten Branche werden von Veränderungen erfasst.
Was als Ergebnis einst im 11. Kapitel stehen wird, ist noch völlig unklar. Joachim Schmidt macht kein Hehl daraus, dass die technologiegetriebene Neuerfindung der Branche bei allen kreativen und transformatorischen Kraftakten letztlich ergebnisoffen ist. Im buchreport-Interview benennt er die zahlreichen Baustellen und den wachsenden Druck, aus den sich immer weiter ausdifferenzierenden Produkten ein leidlich stabiles Geschäft zu formen.
Als sich vor Jahren die Herausforderung digitaler Produktion und neuartiger Produktangebote abzeichnete, wurde vielfach eine Konzentration der RWS-Verlage erwartet…
Tatsächlich hat sich aber mit Blick auf dieses Argument wenig getan. In den letzten Jahren gab es eher kleinere Akquisitionen und Begradigungen der Programme. 
Erstaunt Sie das?
Der Transformationsprozess in das digitale Geschäft ist mit großem Investitionsbedarf und Personaleinsatz verbunden. Insofern ist die über weite Strecken relativ stabile Struktur der RWS-Verlage tatsächlich erstaunlich, denn man braucht eine gewisse Mindestgröße an Investitionen, um die digitale Transformation zu stemmen. Möglicherweise liegt die relative Ruhe an der oftmals engen persönlichen Verbundenheit der Eigentümer mit den Häusern. Insbesondere eigentümergeführte Unternehmen gehen ihren Weg oft im Stillen. Sie haben eine hohe Bereitschaft, in das eigene Haus zu investieren und Durststrecken auszuhalten. Die Häuser sind in dieser Hinsicht sehr flexibel. Sie haben keine investitionsgetriebenen Gesellschafter im Nacken, die bereits bei zeitweise sinkenden Renditen nervös werden, sondern die langfristigen Erträge im Blick. 
Hat der Veränderungsdruck, wenn schon zu keiner Unternehmenskonzentration, vermehrt zu Allianzen geführt? 
Da ist etwas dran. Es ist Ausdruck der paradoxen Situation, einerseits in einem heftigen Wettbewerb untereinander zu stehen, andererseits zu wissen, dass wir unser Geschäftsmodell in der Branche nur gemeinsam weiterentwickeln und erhalten können. Deshalb sind wir heute auf Allianzen angewiesen, um die Geschäftsgrundlage möglichst aller zu erhalten. Allianzen setzen viel Vertrauen voraus, denn nicht alles ist mit Verträgen zu regeln.  
Worüber muss man sich verständigen? 
Das Geschäftsmodell der RWS-Fachverlage war als Branchenlösung lange stabil. Es gab eine verlässliche Grundlage für die inhaltliche wie für die vertriebliche Arbeit: Da waren die in sich abgerundeten inhaltlich definierten Produkte, die Technikfrage war in Form gedruckter Werke gelöst, das Nutzungsverhalten basierte auf eingeübten Praktiken und einer gelernten Kultur. Heute gibt es sowohl inhaltlich als auch technisch viele neue und oftmals noch unverstandene Variablen.

Die RWS-Fachverlage werden sich zentral auf Technik neu verständigen bzw. auf akzeptierte technische Standards hinbewegen müssen. Der Kunde möchte nur wenige Techniken zur Mediennutzung erlernen und nicht mit unterschiedlichsten technischen Systemen arbeiten. Schon deshalb werden unterschiedliche Produkte aus mehreren Häusern auf gemeinsamen Plattformen integriert werden. Und deshalb wird es auch nur ein paar große Plattformen geben, die sich am Markt durchsetzen. 

Mit exklusiven Inhalten? 
Es geht in diesem Geschäft grundsätzlich um exklusive Informationen, die den Kunden weiterbringen. Es wird Produkte geben, die nur auf einer Plattform zu finden sind. Aber die Verlage sind auch im digitalen Zeitalter wie eh und je verpflichtet, die Produkte bestmöglich zu vermarkten. Das ist die Pflicht unseren Autoren gegenüber, aber es ist auch eine Frage der Kundenorientierung: Der Kunde möchte über seinen Zugang zum Produkt eigenständig entscheiden. Daraus folgt: Wir müssen aufs Ganze gesehen auf den erfolgreichen Plattformen vertreten sein. 
Hat die Branche auf dieser Basis ihr zukunftsträchtiges Geschäftsmodell gefunden?
Ehrlich gesagt wissen wir als Branche noch nicht, was das optimale Geschäftsmodell ist. Wir experimentieren mit Produkten, Angebotsformen, Vertriebskanälen und Abrechnungsmodellen. Wir bewegen uns zwischen der Frage, was für den Kunden das Richtige ist und was sich für den Verlag rechnet. Dabei differenzieren sich die Angebotsformen immer mehr aus, Stichwort: Granulierung der Inhalte in kleine Einheiten. Das ist bei Weitem nicht nur eine inhaltlich technische Herausforderung, sondern stellt auch erhebliche Anforderungen an die Unternehmensprozesse. Da droht ein ganz kleinteiliges Geschäft mit einem enormen innerorganisatorischen Aufwand. Jeder Artikel muss definiert und angelegt, bepreist und in Rechnung gestellt werden. Immer verbunden mit der betriebswirtschaftlichen Frage: Lohnt sich das, insbesondere bei der sinkenden Zahlungsbereitschaft der Kunden?
Flatrate oder Einzelabrechnung? 
Die Tendenz geht zu sowohl als auch, also zu einem Angebot von beidem. Die Souveränität des Kunden ist letztendlich entscheidend. Man kann nicht auf ein Vermarktungsmodell verzichten, wenn es erfolgreich ist. Ziel ist für unser Haus natürlich das Abomodell und die feste Kundenbeziehung. Die große Anforderung für die Verlage ist und bleibt: Wie bildet man die sich ausdifferenzierenden Produkte, Angebotsformen, Vertriebskanäle und Abrechnungsmodelle wirtschaftlich ab? Es gilt, Prozesse aus betriebswirtschaftlicher Sicht weitestgehend zu automatisieren. Das wird noch immer zu wenig diskutiert. Es gibt bisher weder ein stabiles Geschäftsmodell am Markt noch ein stabiles Unternehmensmodell, und der Zeitdruck für die notwendigen Problemlösungen nimmt zu. Bis dato wird viel beobachtend ausprobiert: Man schaut auf den Wettbewerb, sieht bei Kooperationen, welche Angebote und Abläufe funktionieren, und man beobachtet selbstverständlich auch branchenfremde Strukturen. 
In Wissenschafts- und Fachverlagen geht der Trend dazu, große digitale Komplettpakete zu schnüren und den Zugang zu vermarkten…
Es gibt aber auch die gegenläufige Tendenz, dass Kunden nicht möglichst viel haben wollen, sondern etwas für sie individuell Passendes. Das maßgeschneiderte Angebot ist das Gegenmodell zu den großen Paketen. Die Kunden, ob Bibliotheken, Kanzleien oder Unternehmen, schauen sich jetzt schon genau an, was ihre Anwender tatsächlich nutzen. Sie zählen – teilweise sehr detailliert – die Datenzugriffe und passen dementsprechend ihre Beschaffungsprozesse an. Verlage werden künftig häufiger hören: „Das brauche ich nicht.“ Die Kunden sind oftmals nicht mehr bereit, per se einfach alles oder möglichst viel in ihre Bibliothek einzustellen. 
Angesichts der offenen Entwicklung der Geschäfts- und Erlösmodelle: Befinden sich die Verlage auf einer Fahrt ins Ungewisse?  
Wir befinden uns mitten im Transformationsprozess. Das digitale Geschäft ist eine Revolution mit grundlegenden Veränderungen. Wir sind als Branche gewiss nicht über den Berg. Man darf nicht vergessen: Derzeit wird das Geld in den Häusern weitestgehend mit Erlösen aus dem traditionellen Geschäft verdient. Zugleich ist der Druck in Richtung digitales Geschäft enorm, und das Tempo und die Intensität steigern sich. Wir befinden uns auf einem Verschiebebahnhof von Print in die digitale Welt, sowohl bei den Verlagen als auch bei den Kunden. Auch die Kunden versuchen ihren Attraktor bei der Beantwortung der Frage zu finden: Wann ist es von Vorteil, Fachinformationen digital und damit im Direktzugriff zu nutzen, und wann ist es von Vorteil, zum gedruckten Werk mit räumlicher Erschließbarkeit zu greifen? Ich rechne jedoch fest damit, dass die umfängliche Nutzung von Printprodukten im RWS-Markt noch deutlich zurückgeht.  
Weil es letztlich primär ums Suchen und Finden geht? 
Der Entscheid, welche Medienform am besten kundenseitig wie genutzt wird, ist neben erlernten und kulturellen Praktiken immer auch eine Antwort auf die Frage nach der Lösung, die ein Produktformat bietet. Geht es um das normale schnell abzuarbeitende Alltagsgeschäft, d.h. um Standardfälle, oder aber um einen hohen kreativen Anteil, geht es also um neue Ideen? Letztere wird man eher nicht aus Fundstellen im Modus punktueller Zugriffe gewinnen, sondern durch das tiefgehende Durchdringen eines Themas mit seiner immanenten Logik. Wir als Verlag müssen das alles bieten. Hier müssen wir gedanklich einen Sprung in die Abstraktion machen: Wir produzieren in erster Linie Fachinformationen. Erst anschließend stellen wir die geeigneten Trägermedien nebst Techniken bereit. Es gilt also heute, Inhalte losgelöst von Trägermedien und Techniken denken zu können. 
Wie schwer fällt das allen Beteiligten? 
Das fällt jedem schwer, dem Autor, dem Verlag und auch dem Leser bzw. Nutzer. Das hat auch nicht nur etwas mit Gewohnheiten zu tun. Inhalt und Gefäß sind für uns nicht so ohne Weiteres voneinander zu trennen, denn Medienformate bieten eine Agenda für die Logik der Inhalte. Die digitale Transformation ist damit nicht nur vom Geschäfts- und Unternehmensmodell her eine Herausforderung, sondern hat auch eine erkenntnistheoretische Dimension. 
Ein Beispiel? 
Bei einer Monografie erwartet man eine durchgehende Logik im Werk, in einem Sammelband eher eine Mikrologik innerhalb eines Beitrages, aber eben keine zwingend verästelte logische Verbindung zu den anderen Beiträgen. Eine Monografie auf der einen Seite und kurze Beitrags- bzw. Artikelzusammenstellung auf der anderen Seite folgen jeweils anderen logischen Anforderungen. Eine durchgehende Logik wie in einer Monografie kann mit der im Digitalgeschäft so bedeutenden Granulierungsidee kollidieren. Konsequente Granulierung bedeutet, dass es immer häufiger nur eine Mikrologik gibt und immer weniger die Gesamtzusammenhänge der Inhalte hergestellt werden. Alles wird bruchstückhafter, aber es gibt dadurch weniger Antworten auf Komplexität. Das ist ein gesellschaftliches Problem und nicht nur eines der juristischen Fachgebiete: Das Lesen und Verfassen komplexer Texte fällt vielen immer schwerer und wird zurückgedrängt. Die Welt wird in Häppchen aufbereitet und immer weniger im Zusammenhang verstanden.  
Diesen Vorwurf gibt es auch gegenüber Journalismus… 
Hier wie dort stellt sich die Frage, ob Inhaltshäppchen und punktuelle Antworten den wichtigen Fragen angemessen sind. Wer will, kann die Auswirkungen an vielen Stellen ausmachen. Es wird immer mehr improvisiert und nach Flickschusterei korrigiert.

Die Fragen stellte Thomas Wilking 

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