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Martina Bergmann: Was wir lesen wollen

Martina Bergmann: Was wir lesen wollen

Wir Buchhändler und Leser hatten immer die Freiheit, auszuwählen. Wir konnten entscheiden, was wir lesen und kaufen wollen. Jetzt müssen wir aufpassen, dass diese Vielfalt erhalten bleibt. Deswegen habe ich nichts gegen Self-Publisher. Wenn Autoren sich so zu vermarkten wissen, dass sie ohne einen Verlag Geschäfte machen: Herzlich Willkommen in meiner Buchhandlung. Und wenn kleine Verlage Bücher anbieten, die zu uns passen: Immer her damit. Scheuen Sie sich nicht, Ihren Lesern beim Buchhändler zu begegnen.

Eine Autorin aus dieser Gegend schreibt pointierte Texte über Ostwestfalen, deren beste Repräsentantin sie selber ist. Warum sollte ich sie als Kleinstverlag gering schätzen? Die literarische Bedeutung oder den Unterhaltungswert eines Textes zu bestimmen, obliegt, wenn ein Buch erscheint, aber nicht mehr Autor und/oder Verlag. Es ist dann eine Frage der Öffentlichkeit. Man kann diese für sich einnehmen, auch über den Bedeutungsumfang eines Textes hinaus. Ob man sie unter Druck setzen kann, wage ich zu bezweifeln. Geschickt positionierte Kampagnentitel aus Publikumsverlagen fallen mir hier ein. Allein, was nutzt es, wenn die Kunden die Bücher wiederbringen, weil sie sie öde fanden?

Wir brauchen keine zweite, dritte, vierte, fünfte Wanderhure

Was macht dann das gute Buch aus? Vorsichtige Annäherung: Rechtschreib- und Kommafehler sind generell zu vermeiden. Ich finde eine ordentliche Lesetypographie auch nicht ganz unerheblich. Umschlaggestaltung, sonstige Ausstattung: je relevanter, desto populärer das Produkt. Die Beschnitte der Taschenbücher mit Blümchen zu bedrucken wie sonst Klopapier: Ich mag das nicht leiden. Aber die Leserinnen der entsprechenden Titel finden es sehr schön. Deswegen ist das gut gemacht.

Und dann die inhaltlichen Punkte – Der Plot, Handlungsverläufe, ein Sprachgebrauch, der über das hinausgeht, was wir im Alltag verbal zustande bringen: All das sind halbwegs objektivierbare Kriterien. Sie zu kennen, heißt dann aber nicht, beliebig zu reproduzieren. Eine Wanderhure ist in Ordnung. Ihre Textschwestern hätten mehrheitlich bleiben können, von wo sie kamen: In den Köpfen der Marketingexperten. Noch deutlicher: Bücher, die mir angeboten werden als – „so wie“, als „würdige Nachfolgerin von“, als „X goes Y“; diese Titel ignoriere ich nach Kräften. Das ist manchmal schade, denn so verpasse ich gute Texte.

Kleine Verlage sind genauso eigensinnig wie ich

Ich bin auf die großen Verlage angewiesen. Bei Holtzbrinck und Bertelsmann gibt es Industrieprodukte namens Taschenbuch. 320 Seiten, 9.99 Euro. Das sind meine Brotartikel, und ich verkaufe sie Tag für Tag – nicht zuletzt, um als Kuchenstücke schöne, feine und besondere Titel anbieten zu können. Sahnetorte fand ich den Indiebookday Ende März. Er gab uns im Internet die Möglichkeit, Verlage und Verleger kennenzulernen, die sonst keinen Weg in die Provinz gefunden hätten. Ich fand ihn uneingeschränkt bereichernd und so viel stilvoller als das andere Getöse um Buchhändler und ihre vermeintlichen Meriten.

Kleine Verlage sollten meine natürlichen Verbündeten sein, denn sie sind genauso eigensinnig wie ich. Was hindert uns an engerer Zusammenarbeit? Vielleicht, ganz banal, der Ladenpreis. Es gibt Preisschwellen, oberhalb derer ein noch so interessanter Inhalt hier nicht zu verkaufen ist. Beliebiges Taschenbuch zu 10 Euro – ja. Beliebiges Taschenbuch zu 12 Euro – nein. Besondere, kostbare, für uns über Gebühr bemerkenswerte Titel dürfen auch broschiert 14 oder 16 Euro kosten. Aber was macht sie außergewöhnlich, den höheren (kalkulatorisch gewiss einleuchtenden) Preis wert? Es ist immer die Geschichte, glaube ich.

Alle Geschichten sind willkommen

Keine gute Geschichte ohne ihre eigene Geschichte. Und ich finde nahezu jede Verlagsgeschichte interessant genug, sie meinen Kunden zu erzählen. Ich müsste sie dazu aber kennen: Was bewegt jemanden, sich um die Texte anderer zu kümmern? Was ist der politische, kulturelle, weltanschauliche Hintergrund? So, wie ich für mich in Anspruch nehme, als David neben riesengroßen Mitbewerbern bestehen zu können, muss es verlegerische Gründe geben, sich neben die Taschenbuch-Goliaths zu stellen.

Wenn ich diese Narrative kenne, kann ich sie weitergeben. Das ist eine Frage der Kommunikation – zwischen Buchhändlern, Verlegern, Autoren und Lesern. Wir müssen uns manchmal gegenseitig dran erinnern, dass all die realen und virtuellen Kaffeekränzchen einen wirtschaftlichen, ja (Achtung! Unwort!) kommerziellen Hintergrund haben. Es geht nicht ohne, denn sonst geht es irgendwann ohne uns. Deshalb will ich gern alle Geschichten wissen. Herzlich Willkommen, auch im Namen meiner Kunden.

Martina Bergmann ist Buchhändlerin in Borgholzhausen

Kommentare

15 Kommentare zu "Martina Bergmann: Was wir lesen wollen"

  1. Caren Anne Poe | 28. Mai 2013 um 14:27 | Antworten

    Sorry für die paar Fehlerchen. Ich wurde gerade durch ein Telefonat mitten im Schreiben abgelenkt. Man soll eben nicht zwei Dinge zur gleichen Zeit tun. Geht meistens daneben.
    Mit freundlichen Grüßen
    C.A.Poe

  2. Caren Anne Poe | 28. Mai 2013 um 14:22 | Antworten

    Liebe Frau Bergmann,
    Sie sprechen mir aus der Seele. Es ist sehr anregend und aufregend, solche Bekenntnisse zu lesen. Ich bin Indieautoren, noch am Beginn meiner Autorenlaufbahn und mein erstes fertiges Werk heißt „You are fired-Ausgedient“ und ist eine authentische Geschichte. Wie Sie richtig schreiben, „keine gute Geschichte ohne ihre eigene Geschichte“. Im übrigen habe ich den 80zigern mal in Borgholzhausen gewohnt. Mein Exmann war Manager bei Homan in Dissen. So klein ist die Welt. Ich freue mich auf jeden Fall über die neue Entwicklung am Buchmarkt, der vielen neuen Autoren, die sonst für immer im Abseits hätten verweilen müssen, endlich auch eine Chance erhalten, ihre Werke veröffentlicht zu bekommen, wenn auch nur als eBook größtenteils.
    Mit freundlichen Grüßen
    Caren Anne Poe

  3. Susanne Vieser | 23. Mai 2013 um 12:18 | Antworten

    Hallo Frau Oppermann,

    Vielen Dank für diese Zeilen: Ich bin wirklich ein Vielleser und ärger mich oft, weil hier der Buchhandel gerne das Internet und die Online-Shops und -Möglichkeiten verteufelt oder aus einer sehr pessimistischen Sicht sieht. Als Vielleserin mit wenig Zeit würde ich mir so offensive Buchhändller wie Sie wirklich noch viel mehr wünschen: Solche, die mir jetzt in dem neu und stark wuchernden Dschungel Indie und Selfpublishing genau die Bücher empfehlen, die gut lektoriert und nachvollziehbare, auf ihre Art einziugartige Geschichten erz#ählen. Solche, die mich gelegentlich auch auf Blogs oder E-Books aufmerksam machen, die vielleicht noch nicht gut lektoriert sind, aber neu mit Sprache umgehen.

    Vielleicht so? Buchhändler lest die Signale: Im Selfpublishing- und Indie-Dschungel könnt ihr wieder zu euren ureigenen Tugenden und Aufgaben zurückkehren – Lesern Orientierung zu geben und die besten Bücher empfehlen. Wär doch was. Ich wünsche Ihnen, Frau Oppermann, allen Erfolg der Welt!

  4. Nicht die Narrative steht zwischen den Indie-Autoren und den Buchhändlern, sondern das Format.

    Die Indie-Autoren sind wegen der Endpreise meist digital unterwegs. Die Buchhändler dagegen reisen in Holz.

    • Es gibt auch Indies die in Holz reisen, im Spiegel erwähnt finde ich diese Indiebücher aber nicht und auch nicht in der Buchhandlung! Lieber Spiegel, auf Anfrage bekommt ihr gern ein Indiebuch in Holz von mir, ich hätte im Gegenzug gern eine Buchbesprechung in eurem Magazin 🙂

    • Martina Bergmann | 23. Mai 2013 um 14:19 | Antworten

      Nein, das stimmt nicht. Ich finde digitale Produkte gut, aber meine Kunden fragen sie in größerem Umfang nicht nach. Und auf ein digitales Abonnement, auf eine Erzählflat, auf was auch immer namens 48 Seiten zu 2.99 Euro warte ich bislang. Da hinken die digitalen Produzenten ihren Ankündigungen im Moment hinterher.

  5. Liebe Martina Bergmann,

    das wünsche ich mir als Leserin von »meiner« Buchhändlerin, »meinem« Buchhändler: dass sie gute Geschichten aufspüren, genau hinschauen, gern nachhaken … und ebenso neugierig wie erfahren sind. Danke, dass Sie das so zusammenbringen! Zu den Independents empfehle ich zum Beispiel die Kurt Wolff
    Stiftung und ihren Katalog mit Kurzprofilen kleiner Verlage: http://www.kurt-wolff-stiftung.de/. Nicht vollständig, aber eine wunderbare Fundgrube.

    Herzliche Grüße
    Marion Voigt

  6. Liebe Frau Bergmann,

    vielen Dank für diesen Beitrag, der wieder einmal viel Spaß gemacht und zum Nachdenken angeregt hat! Dann werde ich jetzt zum Self-Publisher und schreibe eine kurze Historie von ONKEL & ONKEL 😉

    Und das meine ich völlig ironiefrei, da ich auch als Leser sehr gerne mehr über die Hintergründe »meiner« Verlage erfahren würde – vielleicht lässt sich mit der Zeit (oder auch gerne mit der ZEIT) ja sogar ein kleines Verlags-Kompendium zusammenstellen?

    Die »aktuellesten« Verlags-Portraits, die ich im Regal stehen habe, sind auch mindestens 10 Jahre alt – ich meine, das aktuellste ist »50 Jahre Diogenes«.

    Ich bin jedenfalls gespannt auf die Resonanz!
    Hezrliche Grüße,

    Ihr

    Volker Oppmann

  7. Celeste Ealain | 22. Mai 2013 um 14:37 | Antworten

    Ich freue mich als Neoautorin sehr über diese Meinung ;o) Es ist gut, dass man nicht nur die bekannten Namen und großen Verlage betrachtet, denn ich glaube auch, dass es sehr viele gute Autoren noch unentdeckt da draußen gibt ;o)

  8. Dass es noch Buchhändler gibt, die sich derart vom Mainstream absentieren, hätte ich nicht gedacht. Respekt, Martina Bergmann!

  9. Christine Kern | 22. Mai 2013 um 13:30 | Antworten

    Liebe Martina Bergmann, Ihr Artikel macht Mut, wieder den Kontakt zu Buchhandlungen zu suchen. Aber ich fürchte, Sie sind in der Minderheit.

    Der persönliche Dialog ist nämlich nicht so einfach herzustellen. Oft bekomme ich als Indie-Verlegerin zu hören, dass die Buchhandlung keine Zeit/ keine Nerven für individuelle Kontakte hat. Manche meiner Kolleginnen machen es so, dass sie dann Termine mit Buchhandlungen machen. Das bedeutet für einen Kleinstverlag einen immensen logistischen Aufwand – um im Erfolgsfall dann 5 Exemplare in Kommission unterzubringen. Die dann vielleicht im Regal stehen und nach 6 Wochen auf Verlagskosten wieder zurück geschickt werden. Womöglich noch abgestoßen, dass sie nicht mehr verkauft werden können. Das erscheint mir nicht sehr wirtschaftlich. Ich würde den Buchhandel sehr gern persönlich, aber gleichzeitig effizient in meinen Verkauf einbinden.

    Wie ist es denn am besten, ein Verlagsprogramm anzubieten? Oder gar ein einzelnes Buch? Wie wollen Sie als Buchhändler/innen das am liebsten haben? Wenn man sich da auf ein Verfahren einigen könnte, das wäre eine großartige Sache!

    Christine Kern
    http://www.kindermund-verlag.de

  10. Toller Artikel! Bin veröffentlichte Autorin und seit kurzem auch als Indie-Autorin unterwegs mit meinem historischen Roman „Nebel über dem Canale Grande“. Ich habe positive wie negative Erfahrungen bislang als Indie-Autorin gemacht und würde mich über eine Kurzvorstellung meines aktuellen ebooks und/oder meines Autorenblogs http://manuela-tengler.blogspot.co.at sehr freuen!

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