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Stephan Grünewald: Arbeit braucht Freiraum

Stephan Grünewald: Arbeit braucht Freiraum

„Wir brauchen keine Arbeitswelt, die komplett durchgetaktet ist, sondern eine, die grobe Leitideen vorgibt, innerhalb derer jeder einzelne Freiraum bei der Umsetzung hat“, meint Stephan Grünewald (Foto) vom Rheingold Institut. Wie Unternehmen diese Arbeitswelt erschaffen können, erläutert er im Interview.

„Perfektion ist lebensfeindlich. Glück entsteht im Provisorischen“ – Gilt dieses Zitat von Ihnen auch für unsere zukünftige Arbeitswelt?

Ja, absolut. Denn das Problem der Perfektion ist: Sie ist unerfüllbar und man verrennt sich da mit der Zeit immer fester. Das raubt den inneren Freiraum. Das Provisorium hingegen gibt genau diesen Freiraum. Wir sind beweglicher und kreativer im Provisorischen – ich erwähne in dem Zusammenhang immer gern den Kölner Dom: 600 Jahre Dombau-Provisorium! Für das Arbeitsleben bedeutet das: Wir brauchen keine Arbeitswelt, die komplett durchgetaktet ist, die permanent nur verlangt, Benchmarks zu erfüllen, die nur auf Controlling und Planziele setzt und sich in der Formalisierung verheddert – sondern eine, die grobe Leitideen vorgibt, innerhalb derer jeder einzelne Freiraum bei der Umsetzung hat.

Und das gilt für alle Bereiche?

Je kreativer die Arbeit, desto wichtiger ist natürlich der Freiraum. Aber selbst ein Fließbandarbeiter braucht einen gewissen Freiraum – sonst flüchtet er sich in Tagträume. Eine Qualitätskontrolle am Ende sollte übrigens auch für jede Arbeit stattfinden.

Sie sind Experte für die Psychologie der Deutschen. In einem Interview mit ZEIT online vom August letzten Jahres haben Sie über die Jugend von heute – die sog. Generation Biedermeier – gesprochen, deren Lebensträume „bürgerlich-konservativ“ aussehen. Traumberufe der 18- bis 21-Jährigen sind: Beamter, Bankkaufmann, Versicherungsangestellter etc. Wie sieht es denn mit Medienberufen bzw. solchen in der Verlagsbranche aus?

Zunächst einmal kurz zur Generation Biedermeier: Das Biedermeiertum der heutigen Jugend erwächst aus einer inneren Not. Im Gegensatz zur 68er-Generation, die träumte, aus der Enge auszubrechen, erleben die Jugendlichen heute das Gefühl, in einer brüchigen Welt zu leben. Alles erodiert, zerreißt: Der Euro stürzt in die Krise, Familienstrukturen brechen auseinander, Politiker verschwinden sehr plötzlich etc. etc. Klar, dass sich junge Menschen da Verlässlichkeit wünschen – und das gilt auch und vor allem für die Arbeitswelt. Es geht ihnen weniger um tolle Karrierechancen und ein hohes Einkommen, als vielmehr um Ankommen. Sie wollen im Job Beständigkeit und Work-Life-Balance.

…aber wollen sich die jungen Leute von heute denn im Beruf nicht weiterentwickeln?

Doch, am Arbeitsplatz soll Entwicklung durchaus möglich sein – aber in einem fest gefügten Korridor und unter Anleitung. Sicherheit und Beständigkeit sind die übergeordneten Wünsche. Das gilt auch für Berufe in der Verlags- und Medienwelt: Wenn Sie gute Kräfte möchten, bieten Sie Ihnen feste Arbeitsplätze und eine gewisse Beständigkeit!

Crossmedia-Produktmanager, Social-Media-Redakteur, Projektmanager Mobile Publishing – es gibt immer neue Jobprofile, natürlich nicht nur im Medienbereich. Man verliert den Überblick. Wie schätzen Sie diese Entwicklung ein? Fluch oder Segen für die nachwachsenden Generationen?

„Fest“ und „beweglich“ befinden sich immer in einem Ergänzungsverhältnis. Wenn der Rahmen stimmt – feste Arbeitszeiten, Aufstiegsplan, unbefristetes Anstellungsverhältnis – dann kann ich im festen Rahmen sehr beweglich sein. Dann bin ich auch bereit, mich auf Neues einzulassen. Daher und als Antwort auf Ihre Frage: Die vielen neuen Jobprofile sind eher ein Segen denn ein Fluch für die nachwachsenden Generationen. Denn die Jugendlichen sind gerade im Bereich der Neuen Medien – und hier entstehen diese Jobs ja vor allem – sehr beweglich und virtuos. Sie bringen einen ganz anderen Zugang zu diesen Themen mit als wir, sehen neue Formen der Werbung wie Word of Mouth mit anderen Augen. Und eines ist klar: Auch eine Generation Biedermeier braucht das Gefühl, Pioneer zu sein, was Neues zu machen – und nicht die Pfade der Eltern auszutrampeln.

Die Fragen stellte Judith Horsch, Akademie des Deutschen Buchhandels

Stephan Grünewald ist einer der Referenten der Konferenz „Most Wanted! Kluge Köpfe für den Wandel – Personalentwicklung im Verlag 3.0“ am 8. März in München. Auf der Fachkonferenz der Akademie des Deutschen Buchhandels/E-Publishing Academy in Kooperation mit Bommersheim Consulting präsentieren Führungskräfte aus Medienhäusern und andere Branchenexperten, mit welchen Personalentwicklungsstrategien, Weiterbildungsmaßnahmen und Akquisemethoden sie sich auf die neuen Anforderungen im Publishing Business einstellen.

Kommentare

2 Kommentare zu "Stephan Grünewald: Arbeit braucht Freiraum"

  1. Und – Beständigkeit, Sicherheitsgefühl, Kreativität und Freiraum lassen sind keine Gegensätze!

  2. …chapeau! Herr Grünewald,
    was der Mensch am Arbeitsplatz braucht, ist Freiraum. Nur dann kann er Kreativität entwickeln. Und die Kreativität der Mitarbeiter sind das eigentliche Kapital eines Unternehmens – das Geistkapital.

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