buchreport

Wir bewegen uns auf einem schmalen Grat

Am heutigen 1. Oktober 2012 wird das Buchpreisbindungsgesetz 10 Jahre alt. Internet und Digitalisierung stellen das System vor neue Herausforderungen. Die Preisbindungstreuhänder Christian Russ (Foto: re.) und Dieter Wallenfels (li.) im Interview.

Das Gesetz zur Buchpreisbindung in Deutschland ist am 1. Oktober 2002 in Kraft getreten. Bis dahin wurden die fixen Buch- und Fachzeitschriftenpreise über 100 Jahre lang in Deutschland über das Sammelreverssystem vertraglich geregelt. Im Interview beschreiben Russ und Wallenfels, wie sich das Branchen-Umfeld des Gesetzes verändert hat, wo die größten Gefahren lauern und wie das Gesetz modifiziert werden könnte.

Das komplette Interview ist im buchreport.magazin 7/2012 nachzulesen (hier zu bestellen).

Ist die gesetzliche Preisbindung heute sicherer als vor 10 Jahren?
Wallenfels: Ich glaube, das kann man sagen. Wir haben in den vergangenen Jahren deutlich gespürt, dass eine gesetzliche Regelung Vorteile gegenüber der früheren vertraglichen Preisbindung hat. Das Problem der Lückenhaftigkeit, die früher zur Unwirksamkeit der Preisbindung führen konnte, besteht nicht mehr, weil die gesetzliche Regelung auch dann ihre Gültigkeit behält, wenn sie nicht in allen Gruppen lückenlos durchgeführt wird. In gewisser Weise ist es allerdings auch ein Problem, dass man heute etwas leichtsinniger mit der Preisbindung umgehen kann, während damals immer das Damoklesschwert über ihr schwebte, eine Duldung der Lückenhaftigkeit könne als Missbrauch ausgelegt werden.

Ist der politische Rückhalt genauso stabil wie vor 10 Jahren?
Wallenfels: Wenn man den Vertretern des Börsenvereins glauben darf, die ständig im Kontakt mit Politikern stehen, ist die Preisbindung für die jüngere Politikergeneration kein unantastbares Heiligtum mehr. Die Entwicklung verläuft insofern ähnlich wie beim Urheberrecht. Umso wichtiger ist deshalb, wie die Branche mit der Preisbindung umgeht. Wenn die politischen Entscheidungsträger den Eindruck gewinnen, dass die Branche selbst die Preisbindung nicht mehr ernst nimmt und wenn Fehlentwicklungen, die mit der Preisbindung verhindert werden sollten, trotzdem eintreten – also starke Konzentration und eine gewisse Formierung des buchhändlerischen Angebots – dann könnte die Preisbindung durchaus zur Diskussion gestellt werden.

„Die Preisbindung ist ein Zukunftsmodell“

Sie betonen in Ihrem Arbeitsbericht für 2011, die Preisbindung sei kein Relikt, sondern eine Zukunftsstory. Hat sich durch das Nein der Schweizer zur Preisbindung an dieser Einschätzung etwas geändert?
Russ: Daran hat sich nichts geändert. Das Nein der Schweizer zur Preisbindung hat vor allem gezeigt, dass Volksabstimmungen sich nur bedingt zur Entscheidung über derart komplexe Fragen eignen. Gegen Argumente wie „Wir sind gegen überteuerte Buchpreise“ ist schwer anzukämpfen, so populistisch sie auch sind. In Deutschland ist die Preisbindung schon deshalb ein Zukunftsmodell, weil der Gesetzgeber auch Buch-Substitutionen und Reproduktionen in den Bereich der Preisbindung mit einbezogen hat, obwohl das E-Book damals noch gar keine Rolle spielte.
Wallenfels: Ein interessantes Ergebnis der Schweizer Abstimmung war, dass die französische Schweiz, die noch nie eine Preisbindung hatte und besonders unter den Auswirkungen eines preisbindungsfreien Buch­marktes leidet, mit deutlicher Mehrheit für die Preisbindung gestimmt hat. Für das negative Ergebnis in den Deutschschweizer Kantonen dürfte der sehr starke Frankenkurs gegenüber dem Euro ausschlaggebend gewesen sein, der generell zu hohen Verbraucherpreisen führt. Wäre die Währungssituation anders gewesen, wäre wahrscheinlich auch die Abstimmung anders ausgegangen.

In der deutschen Buchbranche gewinnen neue Marktteilnehmer an Bedeutung, die nicht traditionell in ihr verwurzelt sind. Ist die Akzeptanz in der Branche noch in dem Maße gegeben, wie es nötig wäre?
Russ: Es hat immer schon Player am Markt gegeben, die versucht haben, die Grenzen in der Preisbindung auszuloten. In einem solchen System ist einfach die Versuchung für viele Marktteilnehmer groß, sich aus dem Korsett zu befreien, um sich dadurch einen Wettbewerbsvorteil zu verschaffen. Das ist im Wesentlichen nichts Neues, nur die Modelle haben sich geändert. Im Internet ist es heute zum Beispiel möglich, Gutscheine massenhaft per E-Mail unters Volk zu bringen, mit Gutscheincodes zu arbeiten und 5-Euro-Nachlässe zu gewähren, die angeblich ein Sponsor bezahlt. Das sind natürlich Modelle, die sich jetzt erst in den letzten Jahren entwickelt haben. 
Wallenfels: Die Gutscheinproblematik ist ein gutes Beispiel dafür, dass man den Anfängen wehren muss, denn sowohl wir als auch der Börsenverein haben diese Problematik zunächst unterschätzt. Das volle Ausmaß der Gefahr haben wir erst mit der massenhaften Ausbreitung dieser Modelle im Markt erkannt. Deswegen führen wir jetzt mehrere Prozesse gegen Buchgutscheinmodelle, die wohl in ein höchstrichterliches Urteil des Bundesgerichtshofs zu diesem Thema münden werden.

„Fühlen uns verpflichtet, den stationären Buchhandel zu unterstützen“

Die betroffenen Online-Buchhändler leisten aber vehement Widerstand gegen den Versuch, die Gutscheinmodelle zu begrenzen …
Russ: Als Preisbindungstreuhänder bewegen wir uns immer auf einem schmalen Grat. Auf der einen Seite müssen wir die Preisbindung schützen, auf der anderen Seite müssen wir Bedürfnissen und Wünschen der Branche Rechnung tragen. Ein zusätzliches Problem ist, dass die Interessen der Branchenteilnehmer ja auch oft unterschiedlich sind, und das auszutarieren ist oft schwierig. Diejenigen, die auf solche Gutscheinmodelle setzen, werden immer sagen: „Das ist sinnvoll und wichtig für uns!“ Und: „Warum werden diejenigen bestraft, die mit findigen Modellen an den Markt kommen?“ Andererseits führt es zu einer Erosion der Preisbindung, zur Beseitigung des Preisbewusstseins und Preisbindungsbewusstseins der Buchkäufer. Das kann nicht gewollt sein.
Wallenfels: Der Gesetzgeber will durch die Preisbindung ja mit Sicherheit nicht in erster Linie die großen Ketten und schon gar nicht die großen Online-Händler schützen, sondern vor allem den kleinen und mittleren Buchhandel. Also fühlen wir uns auch eher verpflichtet, den stationären Buchhandel zu unterstützen und zu verhindern, dass der Online-Buchhandel durch solche Aktionen, die dem stationären Buchhandel gar nicht möglich sind, Marktanteile gewinnt, die den kleinen Buchhändlern dann fehlen.

Wie schätzen Sie die Chance ein, ein letztinstanzliches Urteil gegen diese Gutscheinmodelle zu bekommen?
Wallenfels: Ich halte die Chance für gut, weil der Käufer in diesen Fällen unterm Strich nicht den gebundenen Ladenpreis bezahlt.
Russ: Tatsächlich findet über diese Gut­scheinaktionen ein Preiswettbewerb statt. Den Kunden wird deutlich gemacht, dass man bei einem Händler, der diese Gutscheine einsetzt, günstiger einkaufen kann als bei einem, der es nicht tut. Das Preisbindungsgesetz will Preiswettbewerb aber gerade verhindern. Wir sind zuversichtlich, dass der Bundesgerichtshof es auch so sehen wird, dass hier eine Form von Preiswettbewerb stattfindet, der die Preisbindung letztlich erodiert. Es gibt eine lange Tradition von preisbindungsfreundlichen höchstrichterlichen Urteilen.

„Wir brauchen nicht mehr Flexibilität im System“

Zu den Perspektiven der Preisbindung. Was gibt es für aktuelle Anpassungs- und Änderungswünsche an den Gesetzgeber?
Russ: Das hängt von der weiteren Entwicklung ab. Sollte es durch die Rechtsprechung möglich sein, der Gutschein-Problematik ein Ende zu bereiten, dann brauchen wir den Gesetzgeber nicht. Es gibt das Signal aus Berlin, dass wir zunächst diesen Weg gehen sollen. Sollte es nicht gelingen, den Missstand auf diese Weise abzustellen, müsste man Gespräche führen, wie er durch eine Geset­zes­änderung abgestellt werden kann.
Ein weiteres Thema ist der Verkauf elektronischer Bücher von Luxemburg aus nach Deutschland. Sollte die Rechtsprechung das als grenzüberschreitenden Handel bewerten, der nicht der Preisbindung unterliegt, und sollte sich parallel dazu Agency Agreement als nicht haltbar erweisen, dann wäre eine Änderung des § 4 Absatz 2 des Preisbindungsgesetzes wünschenswert, um E-Books aus dieser Ausnahmevorschrift für den innereuropäischen Verkauf herausznehmen.
Wallenfels: In diesem Zusammenhang wird interessant sein, wie die Europäische Kommission auf das neue französische Gesetz reagiert, das ausdrücklich eine grenzüberschreitende Preisbindung für E-Books festlegt. Wenn die Kommission das hinnehmen sollte, wäre das auch für den deutschen Gesetzgeber ein Signal, dass man grenz­überschreitende E-Book-Verkäufe auch in das deutsche Preisbindungsgesetz ausdrücklich hineinnehmen kann.

Wäre es auch wünschenswert, in das Preisbindungsgesetz Elemente aufzunehmen, die es flexibler und elastischer machen? In Österreich und Frankreich gibt es ja zum Beispiel die Möglichkeit, Rabatte von bis zu 5% einzuräumen.
Wallenfels: Ich fürchte, größere Flexibilität würde nur zu Versuchen führen, diese Er­leichterungen exzessiv auszunutzen. Interessanterweise ist die gesetzliche Preisbindung für E-Books ja jetzt schon flexibler als das Agenturmodell, bei dem der Buchhändler letztlich nur noch ausführendes Organ des Verlags ist. Grundsätzlich glaube ich nicht, dass wir in dem bestehenden System mehr Flexibilität brauchen. Das Gesetz hat sich bewährt und wir können durchaus mit ihm zufrieden sein.

Als ein wichtiger Punkt zur Rechtfertigung des Preisbindungsgesetzes gilt die flächendeckende Versorgung mit Büchern. Stellt sich die Frage nach der Legitimation mit der Etablierung des Online-Handels neu?
Russ: Die Rechtfertigung der Preisbindung ist immer die Förderung der Buchkultur, und die hat mehrere Aspekte. Auch im Zeitalter des Internets sollte es möglichst überall kleinere und mittlere Buchhandlungen geben, damit die Menschen sehen, wie es ist, in einer Buchhandlung zu sein. Es ist immer noch ein großer Unterschied, ob ich diese geistige Tankstelle vor Augen habe oder ob ich in einer Welt lebe, in der nur noch mein Computer und ich miteinander kommunizieren. Von daher ist es aus meiner Sicht immer noch so, dass ein großes Interesse an einem weit verzweigten Buchhandelsnetz bestehen bleibt, auch wenn das Internet bis in den letzten Winkel Deutschlands geliefert werden kann.
Außerdem soll das Gesetz ein vielfältiges Angebot an Büchern erhalten und deshalb verhindern, dass alle Buchhandlungen unter dem Druck normaler Marktregeln irgendwann aussehen wie heute die Bahnhofsbuchhandlungen. Dann hätten in der Konsequenz auch viele Verlage, die nicht gerade bestselleraffin produzieren, keine Verkaufsstellen mehr. Mit dem Wegfall der mittleren und kleineren Buchhändler würde auch ein Wegfall der mittleren und kleineren Verlage einhergehen und dadurch eine Verarmung der Buchkultur!

Die Fragen stellte David Wengenroth

Kommentare

1 Kommentar zu "Wir bewegen uns auf einem schmalen Grat"

  1. Jürgen Schmidt | 2. Oktober 2012 um 1:23 | Antworten

    Ja, Förderung der Buchkultur…
    Die haben sie in der Schweiz, England und Schweden auch ohne Buchpreisbindung.
    Für den Verbraucher äußert sich die Buchpreisbindung vor allem darin, dass er in Deutschland keine Rabatte auf Bücher bekommt. Würde man es mit der Förderung der Buchkultur ernst nehmen, müsste man aber auch den Preiswettbewerb erlauben. Denn billige Bücher sind die beste Leseförderung.

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