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Amazon kann die Preisbindung zu Fall bringen

Dass Amazon als Verlag aktiv wird, bedrohe nicht nur das gesamte Ökosystem der Verlage – sondern letztlich auch die Buchpreisbindung, fürchtet Imre Török (Foto © Imre Török), Bundesvorsitzender des Verbandes deutscher Schriftsteller (VS). Doch es gebe auch Anzeichen, dass die traditionellen Verleger und Schriftsteller dank der Allmacht des Online-Riesen wieder näher aneinanderrücken. 

Teil 2 der buchreport-Serie zu den verlegerischen Aktivitäten von Amazon.

In den USA forciert Amazon sein Verlagsgeschäft und wirbt Verlagen die Autoren ab; auch in Deutschland wird der Onliner angeblich als Verlag mit eigenem Lektorat aktiv. Wie schätzen Sie die Offensive ein? 
Wie das Wort „Offensive“ schon anklingen lässt, sehe ich im Vorgehen von Amazon eine wohl kalkulierte Strategie. Ihr oberstes Ziel wird Gewinnmaximierung sein. Ein weiterer Grund, warum zur Online-Distribution nun auch eine verlegerische Tätigkeit hinzukommen wird, dürfte darin bestehen, dass man das inhaltsarme Geschäft des reinen Vertriebs durch die Publikation von Büchern „eigener“ Autoren veredeln möchte. 
Zunächst eröffnet das verlegerische Engagement von Amazon für Autoren neue und sicherlich interessante Perspektiven. Angefangen beim Lektorat des Manuskripts bis zur Auslieferung des Buches direkt ins Wohnzimmer der Leser, diese Vorstellung von einer Rundumbetreuung des Autors erscheint verlockend. Längerfristig sehe ich allerdings Gefahren für Autoren und für die Literatur. Ist die Monopolstellung eines Konzerns erst einmal gefestigt, zählen in erster Linie wirtschaftliche Überlegungen die entscheidende Rolle. Amazon kann sich spätestens dann die Rosinen heraus picken, Bestsellerautoren zu Megabestsellerautoren machen. Zugleich wird die bunte Vielfalt lebendiger Literatur mit ihren unzähligen Facetten noch mehr als schon heute in ein Nischendasein gezwängt. 
Zurecht befürchtet der US-amerikanische Schriftstellerverband, dass der Onliner „das gesamte Verlags-Ökosystem“ bedrohe. Die Vielfalt literarischer Kreativität verlangt aber nach einer Vielzahl von hoch qualifizierten und engagierten Verlagen. Es wäre auch aus Autorensicht kurzfristig gedacht, Amazon nur als den potenten, mächtigen Partner zu sehen. Das mag und wird in etlichen Fällen so kommen. Doch zu viel an Qualität und viele begabte Autoren werden dabei auf der Strecke bleiben. Zudem kann die Buchpreisbindung ausgehebelt, umgangen und letztlich zu Fall gebracht werden. 
Der VS hat seinerzeit und schon sehr früh vor der Monopolstellung von Google im Buchgeschäft gewarnt. Auch bei Amazon sehe ich die Gefahr, dass ein Gigant eine beherrschende Rolle auf dem Buchmarkt missbrauchen kann und Konditionen diktiert, die sehr wohl zum großen Nachteil der Literatur und ihrer geistigen Schöpfer gereichen würden. 
Ist dies eine Bedrohung für Verlage?
Wir Autoren könnten die Bedrohung für die Verlage durch Amazon mit einem lachenden Auge sehen. Doch Vorsicht! Es ist keinesfalls so, dass wir in der Obhut eines Megaverlags nur gewinnen können. Gerade weil die Betreuung der Autoren durch ihre Verlage so enorm wichtig ist, und weil diese Betreuung eh schon oft zu wünschen übrig lässt, sehe ich in der Entwicklung die gleiche Situation auf die Buchbranche und auf das literarische Leben zukommen, wie sie in der Landwirtschaft durch Monokulturen entsteht. Weder der Agrikultur noch der Bücherwelt ist eine Monokultur bekömmlich. 
Müssen Verlage ihre Rolle gegenüber Autoren überdenken?
Selbstredend werden und müssen traditionelle Verlage ihre Rolle ganz neu überdenken und sich zugleich auf ihre eigenen bewährten Werte besinnen. Und sie tun nur gut daran, wenn sie der Pflege des literarischen Nachwuchses und der qualifizierten Betreuung ihrer Autoren oberste Priorität einräumen. 
Für den Schriftstellerverband als Vertreter der Interessen der Autorenschaft  wird die Situation keineswegs bequemer. Wohl sehe ich und kann deutliche Anzeichen dafür erkennen, dass der digitale Markt mit Megaanbietern die traditionellen Verleger und den Schriftstellerverband näher aneinanderrücken lässt. Andererseits müssen wir Schriftsteller, zumal der Markt immer ein Markt ist und bleiben wird, für unsere kreativen und materiellen Interessen auf immer mehr Schauplätzen kämpfen. Die einst von Heinrich Böll geforderte „Einigkeit der Einzelgänger“ ist im digitalen Zeitalter mehr denn je aktuell. 
Und der VS fordert von allen Verlagen gleich welcher Größe die intensivste Kooperation mit den Autoren und dass die Verlagswelt den Wert geistiger Schöpferkraft und die Interessen der Worturheber nicht auf dem Altar monokulturellen Reibachs opfert. 

Man sollte nicht an dem Ast sägen, auf dem man (noch) sitzt. 

Die Fragen stellte Daniel Lenz. 

Weitere Stimmen zum Thema folgen in den kommenden Tagen.

Kommentare

1 Kommentar zu "Amazon kann die Preisbindung zu Fall bringen"

  1. Michael Lemster | 3. Februar 2012 um 21:05 | Antworten

    1) Amazon ist global organisiert und kann relevante Substanzen auf globaler Ebene der herkömmlichen Verwertung entziehen.
    2) Dank ihres Charakters als webgebundener Anbieter kann Amazon auch in kleinen Nischen operieren.
    3) Die genannten Firmen agieren – wie Bertelsmann – in der Sonderzone des Clubmodells oder halten sich im wesentlichen an das Preisbindungsgesetz.
    4) Der grenzüberschreitende Charakter des E-Commerce an sich ist eine latente Bedrohung der Buchpreisbindung.
    All dies macht die Herausforderung durch Amazon größer als die durch die genannten Anbieter.
    Gleichwohl stimme ich zu: Ein Amazon allein ist nicht das Ende des verlegerischen Geschäftsmodells. Amazon hat es ja noch nicht mal geschafft, alle konkurrierenden Online-Shops aus dem Markt zu befördern.

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