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Ehrhardt F. Heinold: Kannibalisierung und Content

Ehrhardt F. Heinold: Kannibalisierung und Content

Kannibalisierung: Kaum ein Begriff hat Verlage (und vor allem Verleger!) so nachhaltig davon abgehalten, mehrmediale Angebote zu publizieren. Dabei gilt: Je mehr Medien bedient werden, desto mehr Kunden werden erreicht.

Kannibalisierung: Kaum ein Begriff hat die Verlagsbranche seit dem Beginn der Digitalisierung so beschäftigt. Und kaum ein Begriff hat Verlage (und vor allem Verleger!) so nachhaltig davon abgehalten, mehrmediale Angebote zu publizieren. „Wir können uns doch nicht unser Printprodukt kannibalisieren“ lautete (und lautet noch immer viel zu oft) die Angst. Doch ist die Angst vor einer so direkten Medienkonkurrenz überhaupt berechtigt? Oder lässt sich nicht der gegenteilige Effekt nachweisen: Je mehr Medien bedient werden, desto mehr Kunden werden erreicht.

Die Angst vor der Kannibalisierung von Medienprodukten basiert auf der These, dass ein Produkt durch ein anderes ersetzt wird. In den Verlagen heisst das immer noch: Print (und damit ein gut bezahltes und gelerntes Geschäftsmodell) verliert. Doch damit dieser Effekt überhaupt eintreten kann, müssen drei Voraussetzungen erfüllt sein:

  1. Die vermeintlich konkurrierenden Produkte richten sich an die gleiche Zielgruppe
  2. Die Produkte erfüllen das gleiche Bedürfnis
  3. Die Nutzungssutuation (bzw. der Kontext) ist gleich

Die Internetangebote von Zeitschriften haben gezeigt, dass diese beiden Voraussetzungen oft nicht erfüllt sind: So erreicht Spiegel Online zu zwei Dritteln neue Leser, andere nutzen Print und Online parallel. Und so kommt es auch, dass z.B. Langenscheidt seine Wörterbücher für alle Smartphone-Typen aufbereitet, und O’Reilly seine E-Books in allen Varianten anbietet (PDF, EPUB, iPhone, Android, siehe die Präsentation von E-Business-Chef Andrew Savakis).

Um es auf den Punkt zu bringen: Wenn bestimmte Zielgruppen (wie z.B. junge Menschen oder berufliche Zielgruppen) neben gedruckten zunehmend auch digitale Medienangebote nutzen, dann kann hier auch keine Kannibalisierung mehr stattfinden – im Gegenteil: Nur mit neuen Angeboten werde diese Kunden noch erreicht  – ich empfehle dazu den Vergleich der Mediadaten von der gedruckten und der Internet-Ausgabe von Zeitschriften…

Kostenlose E-Books als Marketingtool?

Wie sich unterschiedliche Medienkanäle ergänzen können, erläutert Alexander Braun, Geschäftsführer der Buchcommunity quillp,  anhand zahlreicher Beispiele in einem Beitrag für das Buchreport-Blog. Nach seiner Einschätzung können E-Books ein Marketinginstrument für gedruckte Bücher sein: „Es liegt also der Schluss nahe, dass die kostenlose Verfügbarkeit des E-Books sich positiv auf die Umsätze auswirkt. Auch wenn die genannten Beispiele natürlich keinen Anspruch auf Allgemeingültigkeit haben, ist mir kein Beispiel bekannt, bei dem Gegenteiliges zu beobachten gewesen wäre. Es ist jedoch davon auszugehen, dass dieser Effekt nur solange Bestand haben wird, wie das E-Book vom Großteil der Leser nicht als gleichwertige Substitution des gedruckten Buchs empfunden wird und das Einlesen in das E-Book somit zum Kauf des ‚richtigen‘ Buchs animiert.“

Service wichtiger Content?

Einen anderen Aspekt des Themas beleuchtet Liz Bury in ihrem Bericht über die E-Book-Tagung der Digital Directors Group der UK Publishers Association (auf Publishing Perspectives): „A lot of rational ideas about how to combat piracy were being talked about, like how improving access to content and enhancing the quality of experience offered to e-book buyers will help reduce the incidence of piracy. Buzzwords were bandied about: Discussions focused on the way to reduce “consumer friction” (ie frustration, a potential cause of piracy) is by improving “interoperability” and “access,” perhaps to the “cloud.” And it was generally agreed that piracy can be dampened down by putting consumers’ needs at the center of the emerging e-books market. But the undercurrent to these conversations, which were all about balancing access to content against protecting the value of rights holders’ assets, was altogether more radical, and riveting. Tim Reynolds observed that in the e-book market, “you are selling a service as much as, or even more than, content.” To which David Roth-Ey, HarperCollins digital director, replied: “I don’t disagree.” A small comment, maybe, but a service-driven business sounds very different to a traditional publishing house and implies the need to seriously rethink of how the publishing house interacts with customers. The PA’s digital directors group knows this and, as the event wore on, a vision of a future that reflects a radical re-shaping of the traditional books sector was gradually emerging.“

Mit einem Wort: Service, nicht mehr Content wird Kerngeschäft. Eine These, der auch ich in vielen Bereichen zustimme, und für die es immer mehr Hinweise gibt.

Mehr Medien, mehr Kunden

Zusammenfassend lässt sich feststellen: Je mehr Medienkanäle mit einem Produkt bedient werden, desto mehr Kunden werden erreicht. Nicht Kannibalisierung ist der Effekt mehrmedialen Publizierens, sondern eine Marktausweitung: Auch wenn die die Printausgabe an Auflage einbüßt, so wird doch in der Summe der Ausgaben (z.B. E-Book, PDF, Smartphone) mehr verkauft. Das jedenfalls zeigt die Erfahrung des O’Reilly Verlages, bei dem sogar die Printverkäufe nicht abnehmen.

Sogar der gleiche Kunde kann wegen unterschiedlicher Nutzungssituationen ein Buch auf unterschiedlichen Trägermedien nutzen – und Interesse haben, neben dem Printbuch auch noch ein E-Book zu erwerben. Die us-amerikanische Buchhandelskette Barnes & Nobles hat jüngst ein solches Angebot gestartet und bietet beide Ausgaben in einem Bundle an (siehe Bericht in Publishers Weekly).

Kommentare

1 Kommentar zu "Ehrhardt F. Heinold: Kannibalisierung und Content"

  1. Das Beispiel Barnes&Noble kann man natürlich auch im Sinne der Kannibalisierungs-These lesen: schließlich geht es der Buchhandels-Kette im Kern doch wohl darum, trotz wachsender Bedeutung der E-Book-Angebote die Printauflage zu stabilisieren.
    Ein Unternehmen mit flächendeckendem Filialnetz muss eben anders kalkulieren als ein reiner Online-Riese wie Amazon.

    Das Bundling-Modell dürfte insofern enge Grenzen haben. Wenn es parallel dazu keinen separaten E-Book-Verkauf zu möglichst moderaten Preisen gibt, wird man die Reichweite eines Print-Titels kaum nennenswert erhöhen können. Man darf nicht vergessen: Gerade Vielleser, die einen E-Reader nutzen, sind vor allem an günstigen elektronischen Versionen interessiert.

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