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Nur wer mitdenkt, kann mitmachen

1998 wandte sich buchreport an acht „Wortführer von morgen“, jüngere Entscheidungsträger aus Verlagen und Buchhandelsunternehmen, die ihre Visionen und Prognosen zur Entwicklung der von ihnen vertretenen Sparte vorstellten. Zehn Jahre später fragt buchreport die Branchenvertreter erneut. Im buchreport.magazin 10/2008 antworteten mit Rainer Moritz, Thedel von Wallmoden, Matthias Ulmer (hier) und Patrick Sellier die ersten Vier der „neuen Generation“, im Heft 1/2009 folgen neben Tanja Graf Hartwig Schulte-Loh, Jürgen Diessl und Susanne Koppe. In seinem Gastbeitrag versichert Hartwig Schulte-Loh, bis Ende 2008 Chef im Kulturkaufhaus Dussmann, dass das Buch auf dem Weg zur Bildungs- und Wissensgesellschaft eine herausragende Rolle spielen werde. Dabei müsse der Buchhandel jedoch darauf achten, nicht auf der Strecke zu bleiben:

Zehn Jahre nach meiner Analyse über die Zukunftsgestaltung des Medien-Einzelhandels ist ein Augenmerk für mich nach wie vor deutlich: Jenseits aller zeitgeistigen Aufgeregtheiten steht im Mittelpunkt unserer Bemühungen stets der Leser und Kunde.

Seine Bedürfnisse zu kennen und Zukünftiges zu erahnen ist die Basis des wirtschaftlichen Erfolges. Da sich das Kundenverhalten jedoch zunehmend fragmentiert und instabil entwickelt, müssen alle Betrachtungen und Analysen in Zukunft genauer, individualisierter und vor allem datengestützt sein. Sie dürfen sich nicht in Schablonen erschöpfen, sondern müssen auch lokale und regionale Besonderheiten in einem Maße berücksichtigen, wie es bislang nie der Fall war.

Nach meinem Erachten gibt es da im aktuellen Buchhandel nach wie vor erhebliche Nachlässigkeiten, auch das Verhältnis von Analyse und Instinkt ist nicht immer im richtigen Lot. Wie ich bereits vor zehn Jahren treffend erläuterte, werden stationäre Buchhandelskonzepte, die den Gleichschritt als Ziel führende Marschform favorisieren, ins Stolpern geraten. Mit der vagen Hoffnung, einen Teil des Internetkuchens für sich zu reklamieren, bewegen sie sich mehr denn je in der ständigen Gefahr, dass der Kunde sie durch den Internethandel ersetzt.

Die nachwachsenden Generationen entwickeln aber in allen Belangen einen erfreulich erweiterten Horizont und machen Lust auf Zukunft. Vor allem in der offeneren Haltung gegenüber anderen Medien und der zentralen Bedeutung interner und externer Kommunikation sind bedeutsame Fortschritte sichtbar. Eine Entwicklung, die mich freudig überrascht.

Eine Chance nutzt der stationäre Buchhandel bislang allerdings nicht: Zum Sachverwalter von Kultur in seinem jeweiligen Einzugsbereich zu werden und dabei alle Möglichkeiten der Diversifikation über das Buch hinaus konsequent zu nutzen. Die Etablierung von stationären wie digitalen Medienhandlungen als kulturelles Zentrum könnte eine zukunftsweisende Antwort auf den Vormarsch des E-Business sein. Voraussetzung dafür ist eine regional und lokal vernetzte Kommunikation mit den kulturellen Institutionen, öffentlichen Einrichtungen und Medien. Was wir brauchen ist also ein neuer Typus von Führungspersönlichkeiten und Mitarbeitern, die die erforderlichen Instrumente beherrschen.

Die derzeitige Diskussion um das E-Book wirft für mich ein fragwürdiges Licht auf die Rolle des stationären Buchhandels. Die Frage, wie denn nun Businessmodelle für den Handel aussehen können, scheint kaum jemanden zu interessieren. Vielmehr dominieren die Verlage den Diskurs, die aus vielerlei Perspektiven darüber nachdenken, wie sie aus einer eigenen Vermarktung ihrer Inhalte Vorteile ziehen können.

Klar ist, dass mittelfristig im Internetmarkt nur wenige Anbieter das Rennen machen. Das gilt für den E-Commerce-Bereich genauso wie für den Download-Markt. Es gab in den letzten Jahren immer wieder Überlegungen und Ansätze, den Handel zu umgehen. Die Verführung ist fraglos groß. Aber sollten uns die negativen Erfahrungen der Musikindustrie aus den vergangenen Jahren nicht ein mahnendes Beispiel sein?

Man wird sehen, ob der Buchhandel diesen massiven Belastungen gewachsen ist.
Wenn ich einen Megatrend benennen sollte, so kann ich sagen: Es gibt keine Megatrends mehr! Vielmehr wird in Zukunft vom Buchhandel ein Höchstmaß an Flexibilität gefordert sein, mit dem die einzelnen, immer neu entstehenden Trends schnell und konkret erkannt und umgesetzt werden. Ich erinnere daran: Geschichte wird gemacht!

Die Zukunft ist prinzipiell ungewiss. Zur Vision einer Bildungs- und Wissensgesellschaft gibt es jedoch keine Alternative. Auf dem Weg dahin kann und wird das traditionelle Buch eine herausragende Rolle spielen. Selbst auf zukünftigen Raumstationen wird – ganz herkömmlich und genussvoll – gelesen.

Zur Person: Hartwig Schulte-Loh

1957 geboren. Studium der Politik, Rechtswissenschaften und Betriebswirtschaftslehre. 1993 bis1995 stellvertretender Geschäftsführer Fnac Deutschland. Von 1996 bis 2000 und nach verschiedenen beruflichen Stationen von 2006 bis Ende 2008 wieder Geschäftsführer der Dussmann das KulturKaufhaus GmbH.

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