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Wir müssen uns jährlich neu erfinden

Für fünf Tage liegt der Nabel der Buchwelt am Main: Wenn sich am 15. Oktober die Tore zur 60. Frankfurter Buchmesse seit Wiederaufnahme des Betriebs im Jahr 1949 öffnen, beginnt in den Hallen nicht nur das große Schaulaufen der Novitäten. Die weltgrößte Leistungsschau der Branche ist auch ein Seismograf für Bewegungen in den tragenden Schichten der Landschaft der Bücher. Seit seinem Dienstantritt im April 2005 stellt Buchmessedirektor Juergen Boos für die AuM die Weichen. Im buchreport-Interview spricht er über Perspektiven und Herausforderung an einen Branchentreff, der vor dem Hintergrund einschneidender Veränderungen in der Medienwelt sein Image als Forum von internationalem Format verteidigen muss.

Die modernen Kommunikationswege machen die Welt zu einem globalen Dorf. Warum braucht die Branche eine Messe?
Weil der persönliche Kontakt trotz oder gerade wegen aller Beschleunigungseffekte unverzichtbar bleibt. Er gewinnt sogar an Bedeutung. Das belegt das Wachstum an Fläche, zeigt sich aber auch daran, dass der internationale Rechtehandel auf der Messe zunimmt. Unser Literary Agents & Scouts Centre hat 5% mehr Auslastung als im Vorjahr, im Forum Film & TV nimmt das Interesse an spannenden Filmstoffen zu und auch die Fach- und Wissenschaftsverlage melden steigene Werte im Lizenzgeschäft. Wir konstatieren, dass sich die Anzahl der Rechte, die gehandelt werden, inhaltlich und territorial potenziert. Per E-Mail oder am Telefon lassen sich in diesem Kontext keine tragenden Beziehungen knüpfen. Es gibt immer mehr neue Spieler, die man kennenlernen sollte. Was nicht bedeutet, dass wir uns ausruhen dürfen. Wir müssen uns in jedem Jahr neu erfinden, wenn wir attraktiv bleiben wollen. Frankfurt ist der Ort, an dem die zentralen Zukunftsfelder der Branche sichtbar und diskutiert werden. Wir arbeiten ständig daran, diesen Stellenwert zu unterstreichen.

In diesem Jahr haben die Digitalisierer ihren großen Auftritt in den Messehallen. Ein Abgesang auf das Gedruckte ausgerechnet auf der größten Bühne für das Buch?
Nein, vielmehr ein Zeichen für die enorme Kreativität der Branche. In den 60 Jahren nach der ersten Nachkriegsmesse wurden immer wieder neue Medien eingeführt und durchaus kontrovers aufgenommen. Denken Sie an die Audiokassette oder etwa die CD-ROM. Heute sind es die Online-Produkte, die sich anschicken, die Spielregeln auf dem Markt zu verändern. In der Vergangenheit wurde bei jedem technologischen Fortschritt die Verdrängung oder gar das Verschwinden der traditionellen Medien beschworen. Nichts davon ist eingetreten. Das Buch nimmt mit 42% immer noch den größten Anteil der ausgestellten Produkte ein. Die digitalen Angebote, die seit Jahren ihren festen Platz auf der Messe haben, liegen bei rund 30%. Für die Verlage ergeben sich durch die aktuellen Entwicklungen sogar große Chancen.

Wäre nicht eher „Verunsicherung“ das Stichwort, weil keiner weiß, wohin die Reise geht?
Ich habe kürzlich gesagt, dem Content ging es nie besser. Die Branche ist in Aufbruchstimmung, das wird während der Messe an fast allen Orten deutlich. Die Fachverlage arbeiten schon seit geraumer Zeit fast vollständig digital, jetzt tritt eine neue Generation von Lesegeräten auf den Plan, die E-Books massentauglich machen können. Verlage aus dem Ausland wie Penguin oder Random House USA melden exponentiell wachsende Umsätze mit elektronischen Inhalten. Deutsche Verlage wie S. Fischer oder Droemer Knaur sind damit beschäftigt, E-Books zu produzieren. Am Gemeinschaftsstand „Books & Bytes“ wird dieses Jahr erstmals auf der Messe sichtbar, wie Belletristik online funktionieren kann. Verlage positionieren sich heute aber auch als ergiebige Quelle, die die gesamte Kreativbranche mit Inhalten nährt. Die Branche ist auf einer Reise, bei der die Masse der sich ergebenden Möglichkeiten erst nach und nach sichtbar wird.

Was nimmt der stationäre Buchhändler von einer Leistungsschau mit, die ihren Stellenwert als Bestellmesse längst verloren hat?
Hoffentlich die Erkenntnis und Überzeugung, dass ihn die Digitalisierung der Bücher nicht abkoppelt und allein lässt. Denn das Internet kann dem Buchhändler entscheidend in die Hände spielen. Ein Beispiel: Der Autor Paulo Coelho, den wir als Gast bei der Eröffnung der Messe begrüßen werden, nutzt die Neuen Medien massiv in eigener Sache, indem er sich selbst und seine Bücher im Netz mit Nachdruck in Szene setzt. Es ist ihm auch deshalb gelungen, Millionen gedruckter Exemplare im stationären Sortiment zu verkaufen. Flankierend gibt es in dem Print-on-Demand-Bereich rasante Entwicklungsprozesse. Im nächsten Jahr soll es auch in Deutschland „Expresso Book Machines“ geben, die sich in Buchhandlungen aufstellen lassen. Ich bin davon überzeugt, dass Sortimenter auch vom Volltextsucheprojekt Libreka des Börsenvereins nachhaltig profitieren können, das auf der Messe vorgestellt wird. Sie bekommen ein Werkzeug an die Hand, das die Brücke ins Internet schlägt. Bücher in Printform wird es trotz der technologischen Fortschritte immer geben. Bei allen Verschiebungen ist auch das ein klares Signal, das von der Messe ausgehen wird.

In Verlagen wird heute mit spitzer Feder gerechnet, wirksame Auftritte kosten viel Geld. Warum soll sich die Branche mit Frankfurt und Leipzig zwei Buchmessen leisten?
Weil beide Messen ihr eigenes Profil und daher auch ihre eigene Existenzberechtigung haben. Leipzig ist eine nationale Messe, die Büchern und Autoren Auftritte vor großem und vor allem jungem Publikum ermöglicht. Frankfurt hat unstrittig globale  Dimensionen. Aus anfänglich 200 deutschen sind mehr als 7000 Aussteller aus über 100 Ländern geworden, aus 10000 über 400000 ausgestellte Titel. Wir gehen mit den Faktoren Vielfalt, Internationalität und Größe ins Rennen. Und wenn zusätzlich in Leipzig oder auch auf der lit.Cologne wirksam für das Buch geworben wird, kann das nur allen Branchenteilnehmern nutzen.

Die Auslandsaktivitäten der AuM waren nicht immer mit Glück gesegnet. 2002 scheiterte ein Versuch, in New York eine Rechtebörse zu etablieren, 2006 musste sie ihr Vorhaben begraben, in England eine Alternative zur London Book Fair zu etablieren. Mit welchen Karten pokern Sie auf internationalem Parkett?
Die AuM hat natürlich auch den Auftrag, die deutsche Buchbranche international zu präsentieren und an Netzwerke anzuschließen. Es stimmt, dass es dabei nicht immer so gelaufen ist, wie wir es uns vorgestellt haben. Im Wettbewerb mit den großen Buchmessen der Welt kann Frankfurt als wichtigen Faktor für ausländische Verlage die Breite des Angebotsportfolios ins Spiel bringen. Nehmen Sie die London Book Fair: Sie ist eine Rechtemesse für den angelsächsischen Sprachraum, das macht sie gut und zum richtigen Zeitpunkt. Oder nehmen Sie Bologna, ein wichtiger Platz für die Kinder- und Jugendbuchverlage. In Frankfurt wird das Spektrum in voller Bandbreite abgedeckt. Hier sind wesentlich mehr Agenten, Rechtehändler und Verlage anwesend. Wenn ich einen indischen Drucker, einen Satzbetrieb in China oder einen Übersetzer für eine ganz bestimmte Sprache suche, werde ich in den Messehallen fündig. In dieser Dichte macht uns das im länderübergreifenden Vergleich niemand vor.

Jetzt spricht der Chef als Marketingmann?
Ertappt. Nein, aber dazu noch folgende Zahlen: Der Kurs des Dollars hat sich in den letzten Jahren extrem gegen uns entwickelt, für US-amerikanische Verlage ist die Präsenz in Frankfurt heute mit Mehrkosten von 30 bis 40% verbunden. Trotzdem ist die Zahl der ausstellenden Verlage aus den USA stabil geblieben und in einzelnen Segmenten sogar gewachsen.

Wer sich profilieren muss, braucht Geld. Müssen die Verlage damit rechnen, dass die Börsenvereins-Wirtschaftstochter AuM stärker an der Schraube der Standmieten dreht?
Wir sind auch in der Frage der Gebühren ein Spiegel der Branche. In den letzten Jahren haben wir die Preise allenfalls im Rahmen der Inflationsrate angehoben. Als Tochter des Börsenvereins sind wir kein rein wirtschaftlich getriebenes Unternehmen, und das ist auch gut so. Anders als in der übrigen Wirtschaftswelt werden kleinere Stände sogar subventioniert, denn die Buchmesse ist so stark wie die Vielfalt, die sie zeigt. Dazu brauchen wir jeden Marktteilnehmer, egal wie groß oder klein. Natürlich stehen wir unter hohem Kostendruck. Weil wir sehen, was in der Branche los ist, werden wir im nächsten Jahr die Quadratmeterpreise stabil zu halten versuchen und maximal um die Inflationsrate erhöhen.

Noch ein Wort zum Rahmenvertrag mit der Messe Frankfurt. Er läuft 2010 aus. Bleibt der Branchentreff am Main?
Wir stehen in Gesprächen mit der Messe Frankfurt und ich kann mir nicht vorstellen, dass es zu keiner Einigung kommt. Die Frankfurter Buchmesse ist eine Marke, die man nicht einfach an einen anderen Ort verpflanzen kann.

Die Fragen stellte Rainer Uebelhöde

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