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Britannica bastelt weiter an den Geschäftsmodellen

Sie ist im englischen Sprachraum das Flaggschiff unter den Nachschlagewerken. Seit 1768 gibt es die Encyclopaedia Britannica: 32 Bände, u.a. 23000 Biografien, 15000 geografische Texte und 24000 Fotos, aneinandergereiht 1,32 m Regallänge, 62 kg Gewicht und ein Verkaufspreis von 995 Pfund. In diesem Jahr feiert das gewichtige Standardwerk seinen 240. Geburtstag – unverändert mit Print- und Online-Editionen und inmitten heftiger Turbulenzen auf dem Sektor der internationalen Wissensvermarktung.

Die aktuelle Aufarbeitung der Brockhaus-Krise verfolgen die Macher der Britannica ebenso aufmerksam wie das unaufhaltsame Wachstum des Mitmach-Lexikons von Wikipedia. Am Firmensitz in Chicago und in London, wo der vom ehemaligen Dorling-Kindersley-Verleger Ian Grant geführte britische EB-Ableger nicht nur Großbritannien, sondern Europa, Afrika und den Nahen Osten bearbeitet und damit in der Unternehmensstrategie eine Schlüsselrolle spielt, wird nicht nur analysiert, sondern im Bedarfsfall auch schnell reagiert: So hat President Jorge Cauz Anfang Juni angekündigt, dass die Britannica im Rahmen eines umfassenden Umbaus ihres Internetauftritts künftig auch nutzergenerierte Beiträge à la Wikipedia in die Online-Version integrieren will.

Ganz so offen wie Wikipedia will die Britannica bei den Inhalten aber nicht werden. Zwar sollen Leser schon bald eigene Lexikonartikel online schreiben und bestehende Texte ergänzen können, doch der Veröffentlichung im Netz sind inhaltliche und qualitative Kontrollmechanismen vorgeschaltet. Den Kern der Website, daran will Cauz auf keinen Fall rütteln, sollen auch in Zukunft  die Artikel des bestehenden Profi-Teams bilden. Die Beiträge der User sollen die Artikel ergänzen, können aber nach strenger Prüfung auch einfließen.

Die Öffnung der Inhalte ist der (vorläufig) letzte Schritt in einem komplexen Umbauprozess der Britannica, der vor fast zehn Jahren begonnen hat. Die schmerzhafte Umstrukturierungsphase, die Brockhaus aktuell durchläuft, hat das Unternehmen hinter sich.

Schon sehr früh und radikal hatte die Geschäftsführung auf die Elektronik-Schiene gesetzt und 1999 als Folge drastisch sinkender Absatzzahlen der Printausgabe ganz auf Online und den kostenlosen Zugang zu den hochwertigen Inhalten der Britannica gesetzt, nur um festzustellen, dass die Werbeeinnahmen bei Weitem für ein gesundes Auskommen nicht ausreichten. „Wir waren mit unserem Vorstoß einfach viel zu früh und vielleicht auch ein bisschen naiv; der Online-Markt steckte noch in den Kinderschuhen“ kommentiert Ian Grant das Geschehen.

Der Rückzug vom Rückzug kam im November 2001, als Eigentümer Jacob Safra die Notbremse zog. Ein Jahr später erschien die Britannica parallel wieder im Printformat, die Online-Inhalte sind seither ge-bührenpflichtig zugänglich.

Als privates Unternehmen muss Encyclopaedia Britannica, Inc. keine geschäftlichen Zahlen veröffentlichen und tut das konsequent auch nicht. Als letzte bekannte Umsatzgröße stehen ca. 325 Mio Dollar von 1999 im Raum. Zu ihren besten Zeiten Ende der 80er-Jahre hatte die Chicagoer Firma etwa 600 Mio Dollar in der Kasse.

Seit der Berufung von Britannica-Urgestein Cauz an die Spitze des operativen Geschäfts im Oktober 2003 ist nach außen und innen Ruhe eingekehrt. Bei der Reanimation der Print-Britannica ist es nicht geblieben. Das gedruckte Buch hat in Form von komprimiertem Britannica-Wissen vorzugsweise in einbändigen Lexika wieder an Bedeutung gewonnen. Grant: „Die enzyklopädische Gratwanderung zwischen Print und Online hat das Buch bislang nicht verloren.“

Ganz im Gegenteil finden die Macher der Encyclopaedia Britannica immer mehr Gefallen am bedruckten Papier. Ironischerweise hat ausgerechnet der Verlag, der gar nicht schnell genug auf den Online-Zug aufspringen konnte, neue Printansätze vorgestellt, mit denen Britannica erstmals auch im Buchhandel Flagge zeigen will.

Auf der London Book Fair wurdem im April die „Britannica Guides“ vorgestellt; großformatige, aufwändig gestaltete Taschenbücher für 8,99 Pfund zu aktuellen Themen und mit Enzyklopädie-Inhalten, die als Joint Venture mit dem Verlag Constable & Robinson komprimiert für ein breites Publikum aufbereitet werden. Grant: „Uns fehlt die Buchhandelsexpertise, deshalb funktioniert dieses Projekt nur mit einem erfahrenen Partner. Wir bringen Marke und Inhalt, Constable & Robinson die Branchenerfahrung in das Projekt ein.“ Gestartet wurde die Serie mit  „The Britannica Guide to Modern China“ und „The Britannica Guide to the Ideas That Made the Modern World“.

Anja Sieg

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