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Alexander Braun: Medienkompetenz statt Privacy-Bashing

Alexander Braun: Medienkompetenz statt Privacy-Bashing

Unlängst hat Amazon angekündigt, künftig die Passagen aus Büchern aufzulisten, die von den meisten Kindle-Lesern markiert worden sind. Was bei gedruckten Büchern in Abgeschiedenheit durch Markierung mit Bleistift oder Eselsohren stattfand und somit nur einem selbst oder den Freunden zugänglich war, denen man das Buch lieh, ist über den Feedback-Kanal des Kindle damit für alle einsehbar geworden. Doch das neue Angebot ist umstritten.Selbstverständlich nur auf aggregiertem Niveau: so erfährt man, dass derzeit 1762 Leser eine bestimmte Passage aus Malcom Gladwells „Outliers“ bemerkenswert fanden, nicht jedoch, welche Leser dieser Passage besondere Bedeutung beimessen. Es ist ein erster Schritt in die Richtung, ein digitales Buch nicht nur eine 1:1-Replikation des gedruckten Buchs sein zu lassen, sondern mit den zusätzlichen Möglichkeiten des neuen Mediums zu experimentieren. Höchste Zeit übrigens, soll das Buch nicht zu einem problemlos kopierbaren Produkt werden, dessen Zugang nicht kontrollierbar sein wird.

Privacy-Bashing: Google und Facebook am Pranger

Auf der Welle der Privacy-Bedenken reitend, die in der letzten Zeit vor allem Google und Facebook erfasst hat, blieb natürlich auch in diesem Fall die Entrüstung nicht aus – obwohl die Anzahl der Journalisten, die über erzürnte Nutzer berichteten im konkreten Fall die Anzahl erzürnter Nutzer zu übersteigen schien. Inwiefern bereits die Aggregation markierter Passagen, die keinen Rückschluss auf die Leser zulässt, die Privatsphäre verletzt, sei dahingestellt. Mit gleicher Begründung könnte wohl auch die Zusammenstellung von Bestseller-Listen in die Privatsphäre der Käufer eingreifen.

Überwinden von Widerständen als Erfolgsgrundlage

Ein Sturm im Wasserglas also, dem keine Bedeutung beizumessen ist, da er eher dem grundsätzlichen Veränderungsunwillen des Menschen, der Nostalgie und der Fantasielosigkeit geschuldet ist? Ginge man davon aus, dass die Kunden immer wissen, was sie wollen, hätte Henry Ford vergeblich daran getüftelt, wie man Pferde schneller machen kann, statt das Auto zu erfinden. Neue Wege auch gegen Widerstände einzuschlagen, ist nun einmal die Grundvoraussetzung für Innovationen.

Eben dies trifft auch gerade für das aus Privacy-Aspekten in die Schusslinie geratene Facebook zu: Hätte sich Facebook vom Unmut vieler Nutzer beeinflussen lassen, wäre der Newsfeed, der zum Haupttreiber der Aktivität der Plattform geworden ist, wohl schnell wieder deaktiviert worden – das Wachstum von Facebook selbst als auch von auf Facebook fußenden Geschäftsmodellen wie Zyngas Farmville wäre erheblich langsamer verlaufen. Und während man – schenkte man der medial omnipräsenten Verurteilung von Facebooks Privacy-Policy Glauben – davon ausgehen müsste, dass nun die User in Scharen davonliefen, meldet Facebook weiterhin ungebremstes Wachstum und begrüßt sein 500 millionstes Mitglied.

Eigenverantwortung und Medienkompetenz

Letztendlich muss sich ein jeder an die eigene Nase fassen: Niemand wird gezwungen, bei Facebook mit dabei zu sein und eine Vielfalt an persönlichen Informationen preiszugeben. Ebenso wenig wie Amazon seine Kindle-Nutzer dazu zwingt, die markierten Passagen als auswertbare Information an Amazon zu übermitteln. Hinter jeder Preisgabe von Informationen steckt die Möglichkeit im Gegenzug durch die Steigerung von Relevanz einen Nutzen zu erfahren. Ist dieser gemäß der Bewertung der eigenen Präferenzen nicht hoch genug, sollte man es lassen, und Unternehmen sollten es ihren Kunden so einfach wie möglich machen, diese Wahl zu treffen. Letzteres ist sicher ein Versäumnis von Facebook: Indem mit hoher Frequenz neue Privacy-Aspekte hinzukommen bzw. der Umfang der zugänglichen Informationen stetig ausgeweitet wird und sich Kontrollmechanismen recht gut verstecken, wird sicherlich nicht ganz unbeabsichtigt mit der Trägheit der User gespielt. Die Entwicklung der User-Zahlen gibt ihnen jedoch trotzdem Recht.

Dies unsympathisch zu finden und der Plattform den Rücken zu kehren, steht jedem frei. Im Umkehrschluss jedoch davon auszugehen, Facebook würde seine kostenaufwändig zu betreibende Plattform altruistisch ohne Verfolgung kommerzieller Interessen kostenlos (ohne direkte oder indirekte Bezahlung durch Geld oder verwertbare Informationen) betreiben und dies aus irgendeinem Grund seinen Mitgliedern auch noch schulden, ist schlicht naiv und zeugt von mangelnder Medienkompetenz.

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Kommentare

3 Kommentare zu "Alexander Braun: Medienkompetenz statt Privacy-Bashing"

  1. Das eigentliche Problem bei Amazons Highlighting-Feature ist nicht das Ranking der beliebtesten Anstreichungen, ob auf der Website oder im Kindle-Reader. Sondern die Tatsache, dass im normalen Betrieb solche Daten, genau wie auch persönliche Notizen und weitere Hintergrundinformationen drahtlos auf die Amazon-Server in den USA wandern. Und von da aus haben dann wiedrum staatliche Instanzen Zugriff darauf, über den kleinen Nachrichtendienstweg auch die bundesdeutschen. Natürlich wird gerade in Deutschland niemand gezwungen, auf dem Kindle zu lesen. Anders als im Falle Facebook gibt’s da sehr viele gleichwertige Alternativen, die deutlich mehr Datenschutz bieten…

  2. @Matthias: Dies wird in keiner Weise ausgeklammert – Zitat aus meinem Text: „Letzteres ist sicher ein Versäumnis von Facebook: Indem mit hoher Frequenz neue Privacy-Aspekte hinzukommen bzw. der Umfang der zugänglichen Informationen stetig ausgeweitet wird und sich Kontrollmechanismen recht gut verstecken, wird sicherlich nicht ganz unbeabsichtigt mit der Trägheit der User gespielt.“

  3. Was hier komplett ausgeklammert wird: Facebook hat diese Privatsphären-Einstellungen nachträglich geändert und damit viele Informationen öffentlich einsehbar gemacht, die eigentlich im Vertrauen auf die privacy-Einstellungen nur für Freunde gedacht waren. Wer hier das Problem nicht sehen will, sollte nicht andere über Medienkompetenz belehren.

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