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Die Stunde der Scheingefechte

Gratulation an die Autoren rund um Nina George, die mit ihrem offenen Brief an Amazon.de nicht nur über 1700 Unterzeichner gefunden, sondern auch weltweite Berichterstattung erzielt haben. Die vereinigten deutschen Autoren, für die die Digitalisierung der Branche in den vergangenen Jahren, oft im blinden Fleck lag, erheben endlich mal die Stimme. Ob dadurch die Diskussion fruchtbar vorangetrieben wird, darf allerdings bezweifelt werden.

Denn mit offenen Briefen lässt sich diese Debatte nicht versachlichen, die ohnehin schon diffus verläuft. Je länger der mit martialischem Vokabular ausgefochtene Kampf, desto unschärfer werden die Waffen, so scheint es.

Geht’s um Konditionen, Pricing?

Es geht nicht primär um Konditionen. Das Empörungspotenzial ist eigentlich gering, denn was Amazon fordert, ist im Wettbewerb schon Realität. Bei Google und Tolino sind Anteile für den Shop auch jenseits von 40%, wie man hört, nicht exotisch. Hinzu kommt, dass es doch nur legitim erscheint, dass Amazon angesichts der Umstellung der Umsatzbesteuerung auf das Bestimmungslandprinzip (bei Verkäufen an deutsche Kunden 19 statt 3%) die Verteilung neu verhandeln will – und dabei weg will von der 30%/70%-Aufteilung, wie sie bei Agency-Verträgen üblich war.

Es dreht sich aber genauso wenig ums Pricing, wie es Amazon glauben machen will. Die Verlage sind keine digitalen Hochpreisländer. Laut E-Book-Studie der GfK ist der Durchschnittspreis seit 2010 um fast ein Drittel gesunken. Der von Amazon empfohlene Preis von 9,99 Euro/Dollar wird von den Verlagen sogar oft unterschritten – was Amazon als Absender des „Kindle-Deal des Tages“ eigentlich wissen müsste. Auch hier ein Scheingefecht.

Also sind es die Daumenschrauben von Amazon, wo Bonnier-Titel als Strafe verzögert ausgeliefert werden? – Klingt nicht besonders gefährlich in einer Branche, in der Filialisten kleine Titel erst gar nicht ans Zentrallager nehmen oder Programme komplett auslisten, wenn es am Verhandlungstisch nicht weitergeht. Oder, je nach eigener wirtschaftlicher Lage, von Verlagen Expansions- oder Rückbau-Boni verlangen. 

Letztlich ist der Streit von Amazon mit Hachette und Bonnier nur der Aufhänger für eine Generalabrechnung mit einem Unternehmen, das vielen traditionellen Akteuren zu mächtig geworden ist. Freilich ist es legitim, vor der Monopolisierung einer Branche zu warnen, in der ein Versender etwa 80% des Onlinebuchhandels kontrolliert. Doch auch hier ist das Terrain für die Diskussion sumpfig: Die Verlage sind sehenden Auges in die Abhängigkeit marschiert, dem Handel ist es nicht gelungen, frühzeitig attraktive, serviceorientierte Internet-Alternativen zu schaffen. 
Von den Tolinos lernen

Zu spät ist es aber nicht für eine Marktkorrektur. Die Tolino-Allianz beweist, dass Mut, Entschlossenheit und Gemeinschafts- statt Kirchturmdenken zum Erfolg führen können. In der englischsprachigen Welt demonstriert HarperCollins, wie moderner Direktvertrieb aussieht (siehe die Online-Themenwelten zu C.S. Lewis „Narnia“). Für Kunden ist solch eine Action letztlich überzeugender als falsch platziertes Lamento.

aus: buchreport.magazin 9/2014

Kommentare

1 Kommentar zu "Die Stunde der Scheingefechte"

  1. Danke für eine sehr reflketierten anstatt in dieser Branche üblich nur wütenden und diffarmierenden Kommentar

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