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Wer macht die Bücher sichtbar?

Der US-Markt ist zugespitzt: Hoher E-Book-Anteil, ausgedünntes Buchhandelsnetz. Marktforscher Peter Hildick-Smith spricht über Discoverability und strategische Fehler.

Hildick-Smith ist Gründer und CEO der Codex Group. Das 2004 gegründete Unternehmen befragt Leser zu ihrem Lektüre und Kaufverhalten. Vor der Gründung von Codex arbeitete Hildick-Smith u.a. bei GE Capital Global Consumer Finance und der Bantam Doubleday Dell Publishing Group (Bertelsmann).

In den USA stagniert der E-Book-Marktanteil. Ist das eine gute oder schlechte Nachricht?

Das ist zunächst einmal die neue Normalität: Nach unseren Zahlen liegt der digitale Absatzanteil seit mindestens einem Jahr bei 35%. Aus meiner Sicht ist das eine gute Nachricht, weil es damit eine gesunde Marktbalance gibt. Es ist nämlich für den Markt weiterhin sehr wichtig, einen starken stationären Buchhandel zu haben, weil 70 bis 80% der Buchentdeckungen, die Discoverability, weiterhin in den Läden erfolgt, und das, obwohl wir in den vergangenen fünf bis sechs Jahren rund ein Drittel der Buchhandlungen in den USA verloren haben.

Mit welchen Auswirkungen?

Der Anteil der US-amerikanischen Haushalte, in denen Belletristik-Bücher gelesen werden, ist von 2008, also seit den Anfängen des E-Books, bis 2012 nach Zahlen der US-Statistikbehörde um 4 Prozentpunkte gesunken. Im selben Zeitraum wurden Milliarden Dollar in die digitale Infrastruktur – darunter Lesegeräte und Breitbandnetze – investiert…

…die nicht nur dem digitalen Lesen zugutekommen: Kannibalisieren etwa die Tablets die Romanlektüre?

Das könnte sein. Nach unseren Erhebungen nutzen Buchleser ihr Tablet 17 bis 18 Stunden pro Woche, allerdings nur eineinhalb Stunden für die Lektüre von Büchern. Der Hauptgrund für die sinkende Belletristik-Affinität ist aber eher der Verlust vieler Buchhandlungen.

Was bedeutet das für Branche?

Der stationäre Buchhandel hat vor diesem Hintergrund grundsätzlich eine gute Chance des Fortbestehens. Das zeigt auch der Blick in vergleichbare Medienbranchen. Am besten gelungen ist es der Filmindustrie, die bestehenden Strukturen aufrechtzuerhalten. Seit der Erfindung des Fernsehens hat die Branche sechs oder sieben Transformationen erlebt, von der VHS-Videokassette bis zum Streaming. Dabei wurden immer die Orte mit dem ersten Zugriff auf neue Filme, also die Kinos, geschützt, und davon ausgehend die Preise und die Qualität der Weiterverwertungen definiert. Ohne die Kinos würde es die Filmindustrie heute gar nicht mehr geben.

Schützen Verlage den Buchhandel ebenso gut?

Nein, sie haben dies im 4. Quartal 2009 aufgegeben, als sie die Verträge mit Apple unterschrieben haben. Darin ging es nicht nur um die viel beachtete Einführung von Agency-Preisen, sondern es wurde auch das Windowing aufgegeben…

…die zeitlich gestaffelte Verwertung über unterschiedliche Trägermedien und Verwertungsfenster.

Das Windowing-Prinzip wurde vor über 80 Jahren von der Buchbranche erfunden: Nach dem Hardcover wartet man zwölf Monate bis zum Paperback. Die Apple-Verträge verlangten nun aber, dass die Printausgabe und das viel günstigere E-Book gleichzeitig veröffentlicht werden. Man stelle sich vor, dass der neue Robert-De-Niro-Film am selben Tag in den Kinos und auf DVD erscheint – kein Mensch würde ins Kino gehen, und das ganze System würde rasch implodieren. Die Amazon-Verträge sind ähnlich gestrickt. Solange diese Regelungen bestehen bleiben, sind Amazon und Apple in einer so starken Position, dass der Buchhandel zu erodieren droht.

Warum sind die Onliner bei der Discoverability so schlecht?

Amazon versammelt über 35 Mio Bücher mit eigener ISBN, das heißt aber nicht, dass diese auch gefunden werden. Als Amazon den Kindle 2007 startete, gab es monatelang fast auf jeder Amazon-Seite einen Hinweis darauf; kein anderes Produkt wurde jemals so intensiv auf Amazon vermarktet. Zwölf Monate später kannte aber nicht einmal jeder zweite Buchkäufer den Kindle. Das zeigt, wie ineffektiv Amazon beim Marketing und Merchandising ist. Amazon ist sehr gut darin, eine vorhandene Nachfrage in Verkäufe zu verwandeln, ist aber schlecht darin, selbst für Nachfrage und Discoverability zu sorgen. Das sieht man auch darin, dass zwar der Marktanteil von Amazon im US-Online-Buchhandel seit 2010 verdoppelt wurde, der Anteil des gesamten Online-Handels am Entdecken von Büchern im Vergleich zu anderen Kanälen aber unverändert bei 6% liegt. Der Kunde schaut wie durch einen Strohhalm auf einzelne Produkte im Netz. Nimmt man alles zusammen, gelingt nur rund ein Viertel der Buchentdeckungen über digitale Kanäle, dazu zählen u.a. Internetsuchmaschinen, Shops und Social-Media.

Hilft Amazon die Integration der Empfehlunsplattform Goodreads?

Ja, die Übernahme verbessert die Ausgangslage für Amazon. Goodreads sorgt für 1 bis 1,5% der Buch-Entdeckungen in den USA, das ist für eine einzelne Firma sehr viel.

Die Fragen stellte Daniel Lenz
aus: buchreport.magazin 7/2014

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