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Noch fehlt Know-how für mobile Buch-Apps

Bei der Vermarktung digitalisierter Buchinhalte gibt es für Verlage unterschiedliche Optionen:

  • E-Books als Entsprechung gedruckter Bücher auf verschiedenen Bildschirmformaten vom PC über Tablet-Computer und spezielle E-Reader bis hin zu Smartphones.
  • Enhanced E-Books, deren Text-Bild-Inhalte um weitere audiovisuelle Medien angereichert werden und damit den besonderen Möglichkeiten des digitalen Formats rechnung tragen.
  • Apps im Sinne inhaltsbetonter Anwendungsprogramme für die mobile Nutzung mit Smartphones.

Die Frage, wie man mit mobilen Applikationen umgehen soll, beschäftigt zur Zeit wohl jeden Verlag in Deutschland. Die folgenden fünf Thesen sollen der Diskussion in den Verlagen und in der gesamten Branche Denkanstöße geben.

1. Es entsteht ein Markt von 1 Mrd App-Downloads mit Buchinhalten weltweit in 2013.

Über das Handy werden inzwischen 31% aller Musikumsätze und 20% der weltweiten Videospielumsätze realisiert, aber noch weniger als 1% der weltweiten Buchumsätze. Dies wird sich in den nächsten Jahren dramatisch ändern. Laut einer Studie im Auftrag des herstellerunabhängigen App- Stores Getjar werden im Jahr 2013 knapp 20 Mrd Applikationen von Endkunden allein in Europa aus den App-Stores geladen.

Bücher stellen mit 20% aller verfügbaren Apps die größte Kategorie im iTunes-App- Store. Falls die Prognose zur Realität wird, werden in Europa ca. 4 Mrd Buchapps pro Jahr auf mobile Geräte geladen. Wenn auch bis zu 80% davon kostenlos sein werden als rechtefreie Titel, Leseproben, Marketing etc., bedeutet das immer noch 800 Mio bezahlte mobile Buch-Apps pro Jahr in Europa.

2. Apps werden sich als eine eigene Inhaltekategorie etablieren

Verleger haben beim iPad und iPhone die Wahl, wie sie ihre Inhalte publizieren. Zum einen als E-Books zum anderen als eigenständige Apps. Applikationen stehen für den Endkunden als kostenloser Download im App-Store zur Verfügung und funktionieren ähnlich wie ein Shop-in-Shop-Konzept. Hat der Kunde beispielsweise die iBook-App heruntergeladen, dient diese als Shop zum Bestellen neuer Bücher, als Regal zur Verwaltung gekaufter Artikel und als Reader zum Lesen der Bücher.

Die hohe Popularität dieser Buchstores lässt sich auch an den Hit­listen der häufigsten Downloads im iPad-App-Store ablesen: iBooks belegt seit Wo­chen Platz 1 oder 2 der Gratis-Downloads in Deutschland. Der Vorteil dieses Vertriebskanals ist, dass Verlage als Ausgangsformat ihre Epub-Dateien in den Store einstellen können. Allerdings sind die Stores noch nicht in der Lage, komplex layoutete Bücher wie z.B. Lehrbücher oder Kochbücher zu verarbeiten. Hier bleibt nur die Realisierung als App.

Applikationen sind hinsichtlich ihrer Funktionalitäten und der Ergänzung multimedialer Inhalte deutlich umfangreicher als E-Books. Während E-Books hinsichtlich ihrer Nutzung quasi Lesen auf einem „neuartigen Papier“ ist, steht im Bereich Apps die Problemlösung im Vordergrund.  Gute Beispiele hierfür sind die Kochbuch-Apps. Jamie Olivers „20 Minute Meals“-iPhone-App ist die weltweit erfolgreichste Koch-App. Der Fernsehkoch war auch der Erste, der das Potenzial des iPhones für Koch-Apps mit innovativen Funktionalitäten wie z.B. Einkaufslisten, Erklärungsvideos oder dem Anzeigen eines Zufallsrezeptes durch Schütteln erkannte. 

Auch deutsche Verlage  haben das Potenzial erkannt.  Zabert Sandmanns erste Koch-App „Alfons Schuhbecks Gewürze“ stieg bis auf Platz 2 der deutschen Apps-Bestsellerliste. Dabei können sämtliche Gewürze, die nicht immer einfach zu beschaffen sind, auch direkt aus der App in Schuhbecks On­line-Shop bestellt werden. Der Nutzer spart Zeit und Wege, der On­line-Shop von Schuhbeck gewinnt neue Kunden.

Am Beispiel von Koch-Apps und anderen Ratgebern lässt sich gut illustrieren, dass der Nutzungsbereich von Apps weit über den eines klassischen Buches hinausgeht. Häufig sind auch Karten oder Videos eingebunden. Eine Suchfunk­tion innerhalb der Applikation gilt als Standard.

Durch ihre erweiterten Funktionalitäten und die komplett neue Konzeption sind Applikationen in der Erstellung allerdings deutlich aufwendiger als E-Books.

3. Apps lohnen sich nicht für alle Buchtypen

Grundsätzlich eignen sich alle Bücher dazu, nicht nur als reine E-Books angeboten zu werden, sondern als eigene App-Funktion. Aus dem Koch-App-Beispiel wird aber ersichtlich, dass jedoch nur für bestimmte Buchkategorien Mehrwerte in Apps generiert werden können. Besonders geeignet hierzu sind Ratgeber, Sachbücher, Fachbücher, Nachschlagewerke und teilweise Kinderbücher (weniger Jugendbücher). Bei Apps aus dem Fachverlagsbereich ist die Platzierung im App-Store nicht so entscheidend, da die Zielgruppe oft sehr klein ist und der Preis der App deutlich höherliegen kann. Gerade in den Bereichen Medizin und Recht lassen sich aber erhebliche Mehrwerte durch Apps schaffen, sofern ein Service dahintersteht. Anatomische Bilder in 3D und Gesetzestexte für unterwegs – die Möglichkeiten sind vielfältig.

Im Bereich Belletristik lohnt es sich dagegen nur in Ausnahmefällen, eine Applikation zu erstellen. Zu gering ist der Nutzen für den Endkunden durch attraktive Zusatzfunktionen gegenüber dem reinen Lesen langer Texte. Selbst Bestseller zum halben Preis der Printausgabe tun sich auf Smartphones schwer. Auch Stephenie Meyers „Bis(s) zur Mittagsstunde“ verkauft sich als iPhone-App nur einige Male pro Tag. Hier ist die Veröffentlichung als E-Book der bessere Weg. Ausnahmen bestätigen die Regel und so wäre es sicherlich reizvoll, für Dan Browns „Sakrileg“ oder ähnlich aufgebaute Romane eine App mit Zusatzfunktionen zu erstellen.

4. Nur App-Store-Bestseller schaffen große Stückzahlen

Das Geschäft der App-Stores ist ähnlich wie im stationären Boulevardbuchhandel stark von Bestsellern geprägt. Lediglich 6% aller Apps schaffen mehr als 100.000 Down­loads. Für Publikumsverlage heißt das, ihr Programm sehr selektiv hinsichtlich der Eignung auf die Veröffentlichung als App zu prüfen.

Die Auswahl, welche Titel ins (Print-)Programm genommen werden, erfolgt in den meisten Verlagen im Rahmen eines strukturierten Entscheidungsprozesses durch spezialisierte Lektoren/Produktmanager sowie Marketing- und Vertriebsexpertren. Im Be­reich der mobilen Applikationen fehlt in Ermangelung von Pilotprojekten häufig das Know-how zur Titelselektion und zur Konzeption.

Der Aufwand für die Erstellung der Applikation und das Bestsellerpotenzial durch innovative Features müssen in einem guten Verhältnis zueinander stehen: Jamie Olivers Koch-App wurde für ca. 120.000 Euro produziert, hat aber inzwischen weltweit über 1,2 Mio Euro eingenommen. Umgekehrt findet man in der Kategorie Bücher im deutschen iTunes-App-Store ab Platz 100 zahlreiche Beispiele für Apps, die für 1500 bis 4000 Euro billig produziert wurden, aber auch nur einen Download pro Tag aufweisen und somit defizitär bleiben. Um teure Fehler zu vermeiden, sollte man sich daher sehr genau überlegen, welche Inhalte sich als App eignen. Eine Faustregel gilt allerdings immer: Ein Titel, der als Buch nicht gelaufen ist, wird meist auch als App keinen Erfolg haben.

5. Eigenständige Apps-Verlage könnten den App-Store dominieren

Bei mobilen Applikationen scheinen branchenfremde Player die Marktchancen schneller zu erkennen. Konsequent nutzen sie die Gelegenheiten, die sich in einem Wachstumsmarkt ergeben – auch wenn der zunächst noch Marktnische ist – und bauen über Kompetenzvorsprung in Herstellung und Vermarktung eigenständige Apps-Verlage auf.

Deutsche Verleger sind dagegen zum gro­ßen Teil bisher eher passiv geblieben, was Aktivitäten in App-Stores angeht. Eine Untersuchung der Top 100 der meistverkauften Apps in der Kategorie Bücher im App-Store von iTunes hat zu Jahresbeginn (Stichtag 23.4.) gezeigt, dass traditionelle Verlage unter eigenem Namen nur für 6% der Top 100 der meistverkauften Buch-Apps verantwortlich sind. Der Rest entfällt auf Dienstleister, die Inhalte lizenzieren und unter eigenem Na­men im App-Store veröffentlichen bzw. Apple gegenüber als Publisher auftreten, also klassisches Verlagsgeschäft betreiben.

Klassische Verlage setzen auf Risikominimierung und lizenzieren ihre Inhalte an Spezialisten, denn Inhouse-Kompetenzen in einem neuen Herstellungsverfahren und in einem Vertriebskanal aufzubauen, erfordert ein deutlich höheres finanzielles Investment. Insbesondere die Programmierung der iPhone-Apps läst sich schwer inhouse realisieren. Verlage sollten zügig im Rahmen ihrer Digitalisierungsstrategie analysieren und definieren, welche Chancen und Risiken im Bereich Mobile Apps entstehen. Applikationen, die in den Top 10 des iTunes-App-Stores platziert sind, verkaufen immerhin mehrere Tausend Stück pro Tag.

Alexander Trommen, alexander.trommen@appsfactory.de

Bernd Zanetti, bernd.zanetti@buchakademie.de

Verlagsfortbildung: Mobile Applikationen

Die Münchner Akademie des Deut­schen Buchhandels bietet seit dem Sommer dieses Jahres für Verlage offene und Unternehmens-Seminare mit Dr. Alexander Trommen zu iPads und mobilen Apps an. Trommen ist Gründer und CEO der GPS Tracking Community SmartRunner sowie der Appsfactory, einer Agentur zur Entwicklung und Vermarktung von mobilen Applikationen.

Co-Autor Bernd Zanetti ist Geschäftsführer der Akademie des Deutschen Buchhandels in München: www.buchakedemie.de

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