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Urheberrecht nicht mehr zeitgemäß?

Die derzeit gesetzlich verankerte „Kontrollbefugnis“ der Urheber sei weder notwendig noch gerechtfertigt, so der Ausgangspunkt einer Gruppe von Akteuren aus Wissenschaft, Verbänden, Daten- und Verbraucherschutz und Internetunternehmen, die sich unter der Leitung von Google Deutschland in der Denkfabrik „Colloboratory“ zusammengeschlossen haben.

Wie der Internetdienst Heise berichtet, hat die im Sommer vergangenen Jahres ins Leben gerufene Denkfabrik nun Leitlinien für eine Reform des Urheberrechts vorgestellt. Verfasst wurden diese von einer Gruppe aus Journalisten, Nichtregierungsorganisationen wie Wikimedia, Juristen und Plattform-Betreibern, darunter auch Vertretern von Google Deutschland, unter Leitung von Till Kreutzer. Um breiteren Konsens zu schaffen, einigten sie sich darauf, die Neufassung hypothetisch in das Jahr 2035 zu verlagern.

Die wesentlichen Argumente von Colloboratory:

  • Kritik an Partikularinteressen: Das gegenwärtige Urheberrechts-System basiere stark auf dem Grundgedanken geistigen Eigentums und fokussiere zu sehr auf die Partikularinteressen der Rechteinhaber. Dieser Ansatz sei inzwischen veraltet und habe seine Berechtigung nur dadurch erfahren, da es vor Konkurrenten (Trittbrettfahrer, Nachdrucker) geschützt habe, „die sich die Investition in die Werkschöpfung und -produktion ersparen und sich somit Vorteile auf dem Markt verschafften“.
  • In der digitalen Welt habe sich diese Situation grundlegend verändert. Das Festhalten an „veraltetem“ Recht habe dazu geführt, dass die aus dem Urheberrecht erwachsenden Kontrollbefugnisse massiv in Bereiche ausgeweitet wurden, auf die das Recht früher keinerlei Einfluss hatte – wie die Rezeption durch den Endnutzer auf digitalen Geräten und Handlungen von Vermittlern  wie technischen Dienstleistern und „Informationsmehrwertdiensten“, darunter übrigens auch Google.
  • Eine derart „weit gehende“ Kontrollbefugnis für „kreative informationelle Güter“ sei weder notwendig noch gerechtfertigt und zudem auch kontraindiziert, weil sie größtmögliche Publizität ausschließe. Absolute Schutzrechte griffen zudem gravierend in geschützte Bereiche (z. B. die Privatsphäre) und entgegenstehende, auch grundrechtlich geschützte Interessen (wie die Kommunikationsfreiheiten) ein.
  • Fair use statt Beschränkung: Das System der fallbezogenen Einschränkung der Verwertungsrechte solle durch eine Generalklausel nach dem Vorbild des „Fair Use“Prinzips im US-amerikanischen Copyright abgelöst werden.
  • Regelschutzfrist verkürzen: Auch die bemessene Schutzdauer von 70 Jahren nach dem Tod des Urhebers sei unangemessen. Werde diese gekürzt, könnten die Werke in anderer Form kreativ genutzt und verwertet werden. Außerdem könnten Kreative so frühzeitig die Kontrolle über die Verwertung ihrer Werke zurückgewinnen.  
  • Als Alternative zum bisherigen Schutzdauer schlagen die Verfasser eine kürzere Schutzdauer vor, die entweder von anschließenden wirtschaftlichen Beteiligungsansprüchen abgelöst wird oder kostenpflichtig verlängert werden kann. Beide Möglichkeiten könnten auch kombiniert werden.
  • Für die Urheberpersönlichkeitsrechte erscheine die geltende Schutzdauer von 70 Jahren nach dem Tode angemessen. Auch gegen eine noch längere Schutzdauer bestünden keine grundlegenden Bedenken.

Die Gegenposition

Demgegenüber hat sich eine Fraktion formiert, die eine Gegenposition formuliert hat (darunter Vertreter aus Universitäten, Berater, Sascha Lazimbat vom E-Book-Vertrieb A2 Electronic Publishing  sowie Dorothee Werner vom Börsenverein) und das bestehende Recht verteidigt.

  • Urheberrechtstradition gekappt: Die Gegenseite kritisiert den vorgeschlagenen Begriff „Regelungssystem für kreative informationelle Güter“. Dieser sei ebenso interessengeleitet wie der des „geistigen Eigentums“. Die Abkehr vom Begriff des „geistigen Eigentums“ kappe bewusst Bezüge zur Urheberrechtstradition. Außerdem verführe der Begriff zur „irreführenden Konnotation“, dass es im Urheberrecht darum ginge, den Zugriff zu Informationen auszuschließen. Der geschaffene Begriff verwische die notwendige Abgrenzung zwischen Informationen und Wissen als öffentliche Güter und kreativer Leistung als schutz- und förderwürdige (Wirtschafts-)Güter. „Ein zukunftsfähiges Urheberrecht sollte gerade diese Aspekte deutlich voneinander trennen.“
  • Vermittler sind nicht Urheber: Mit dem Typus des Vermittlers werde eine Kategorie geschaffen, die Suchmaschinen, andere Aggregatoren und Telekommunikationsunternehmen auf eine Stufe mit Urhebern und Verwertern stelle. Vermittler, die Inhalte Dritter automatisch kategorisieren und aggregieren, sollten nicht auf eine Stufe mit den Urhebern gestellt werden. Dies würde die Marktmacht einiger Vermittler über die aktuelle Marktstellung hinaus noch unangemessen verstärken.
  • Differenzierung des Urheberrechts kritisch: Der vorgeschlagene Trennung von urheberrechtlichen und urheberpersönlichkeitsrechtlichen Ansprüchen habe Nachteile, wie beispielsweise beim Nacherwerb von Rechten, die beide Bereiche betreffen. Eine Trennung der Rechte würde die Lizenzierungspraxis erschweren, insbesondere im Falle eines erloschenen Urheberrechts, während Urheberpersönlichkeitsrechte immer noch weiter existieren. Zudem werde der „möglicherweise essentielle Beitrag“ von Leistungsschutzrechtsberechtigten wie Produzenten oder Musikern aber auch Verwertern selbst gegenüber den traditionellen Urhebern abgewertet.
  • Kritik an Schutz-Regulierungsinstanz: Der Vorschlag, Schutzdauern für unterschiedliche Informationsgüter immer wieder durch eine nicht näher bezeichnete Regulierungsinstanz festlegen zu lassen, sei aus folgenden Gründen praxisfremd:
    – Dieser vernachlässige die Quersubventionierung und würde die Vielzahl von wertschöpfenden Neuerscheinungen und damit die kulturelle Vielfalt in Deutschland verringern.
    – Die Ungewissheit darüber, wie lange ein Werk geschützt ist, werde dazu führen, dass man nach dem Prinzip der kaufmännischen Vorsicht von einer kurzen Schutzfrist ausgeht, und die Investitionen entsprechend geringer ausfallen werden. Die bereits durch die weit verbreitete Piraterie aktuell eingeschränkte Existenzgrundlage von Urhebern und Verwertern sollte nicht durch „unnötige staatliche Regulierung“ weiter eingeschränkt werden.
    – Eine staatliche bzw. staatlich eingesetzte Stelle sei mit den Schutzfristenberechnungen schnell überfordert.
  • Unternutzung unwahrscheinlich: Eine drastische Unternutzung sei im digitalen Zeitalter unwahrscheinlich, da die Kosten für das langfristige Bereithalten der Güter deutlich geringer seien als früher. Die Problematik einer möglicherweise bestehenden Unternutzung von historischen Werken werde sich durch die Digitalisierung auch ohne künstliche Regulierung automatisch egalisieren.
  • Auch die Gegenseite halte es für notwendig, die Effizienz von individuell ausgehandelten Transaktionen zu überdenken, und zum Beispiel den Einsatz von Mikro-Payment-Systemen zu fördern. Dabei sollten Modelle der zentralen Lizenzierung von Rechten aber nur dann propagiert werden, wenn Einzeltransaktionen nicht erfolgen bzw. ineffektiv sind, oder wenn die Rechteinhaber freiwillig die Wahrnehmung ihrer Rechte zentralisieren wollen. Ein Beispiel für eine gesetzlich vorgeschriebene Lizenzierung über Verwertungsgesellschaften könnte die Problematik der „verwaisten“ und vergriffenen Bücher sein. Bevor der Gesetzgeber hier tätig werde, sollten aber aussagekräftige empirische Daten vorliegen.
  • Urheberrecht wird nicht vereinfacht:Letztendlich wurde im Collaboratory mehrfach eine deutliche Vereinfachung des Urheberrechts gefordert. Die vorgeschlagene komplexe Schutzfristenverkürzung sowie die Aufweichung der das Rechtsgut grundlegend legitimierenden Prinzipien bewirkten aber das Gegenteil.

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