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Ehrhardt F. Heinold: Die Verlagstrends 2012

Ehrhardt F. Heinold: Die Verlagstrends 2012

Am Jahresanfang wagen wir immer einen Blick auf kommende Entwicklungen. Diese Tradition wollen wir auch 2012 fortsetzen. Lesen Sie, welche zusätzlichen Trends wir sehen: Kunden, Marke, Service, Semantik, Innovationsmanagement. Stimmt das mit Ihren Erwartungen überein?

Vom Kundenbedarf zum Konzept zum Produkt
Die Filmindustrie hat den Bogen schon länger raus: Würde man hier stets auf die Eingebung eines Drehbuchautors warten, hätte sich die Filmindustrie niemals so entwickeln können. Ihr Ansatz: Am Anfang steht das Konzept, danach werden die Kreativen (Autoren, Regisseur, Schauspieler etc.) gesucht. In vielen Verlagen (auch im Fachverlagsbereich) geht es umgekehrt: Am Anfang steht der Autor, die Lektorate sind als Goldnuggetsuchende mit der Manuskriptsichtung beschäftigt. Doch diese Arbeitsweise wird immer öfter durch eine markt- und kundenorientierte Vorgehensweise ersetzt: Am Anfang steht der Kundenbedarf, dann folgt das Konzept, dann erst werden Autoren (und andere Kreative) gesucht.

Markenaufbau hat oberste Priorität
Wenn Verlage wie gehabt mit Autoren zusammenarbeiten, spüren sie die Grenzen: Viele Autoren geben Verlagen längst nicht mehr alle Verwertungsrechte, manchmal bleibt auch die Marke beim Autor. Deshalb wird es Ziel von Verlagen sein, die Marken selbst zu besitzen. Beispiele im Buchbereich finden sich vor allem im Kinderbuch (Vorbild ist Coppenrath). Aber auch im Erwachsenenbereich gibt es Beispiele (wie Perry Rhodan), die zeigen, welchen Vorteil Verlage durch Markenbesitz haben. Im Zeitschriftenbereich ist das Thema schon länger aktuell, aber auch hier entdecken viele Verlage erst die Chancen konsequenter Markenführung

Markeninhalte oder Serviceprovider: Die beiden Basisstrategien für Verlage
Verlage mit starken Marken können weiterhin auf Content setzen – das zeigt sich bei Beck, bei Heise oder beim Deutschen Fachverlag (und natürlich bei allen Publikumsverlagen mit einzigartigen Autoreninhalten). Verlage ohne derart starke Marken setzen vermehrt auf Service für Leser und für Anzeigenkunden. Beispiele hierfür sind der Müncher IT-Spezialist IDG, der sich eindeutig als Serviceprovider positioniert, aber auch WoltersKluwer, das mit dem neuen Jurion-Portal eine personalisierte Arbeitsumgebung für seine Kunden schaffen möchte (siehe hierzu mein Blogpost).

Semantik über alles: Content goes Kundenbedarf
Jahrelang fristeten die diffizilen Erkenntnisse der Wissenschaft im Bereich der Semantik ein Schattendasein. Nur die wenigen ertragstarken Fachverlagskonzerne wagten sich an diese teure und komplexe Technologie. Doch nun, da sich die Content-Strukturierung mit XML zum Standard entwickelt, erkennen immer mehr Verlage den Nutzen einer intelligent automatisierbaren Contentanalyse und der drauf basierenden Möglichkeit, Inhalte zu clustern, zu verknüpfen und contextbezogen zu publizieren. Der Kunde rückt so noch mehr ins Zentrum, seine Navigation durch die unendlichen Contentweiten wird durch Semantik verbessert, bis hin zur Abbildung individueller Interessenprofile.

Vom Buch zur Soap: Das E-Book als Häppchenlektüre
Die Japaner machen es seit Jahren vor: Digitale Unterhaltungsliteratur verkauft sich wunderbar nach dem Soap-Prinzip. Kurze Sequenzen, Cliffhänger, niedriger Preris: Das perfekte E-Book ist eine Short Novel mit Fortsetzung. Lübbe hat das Web Novel-Prinzip als erster umgesetzt. Andere werden folgen.

Social Media als Teil des Produkts: Kundenbindung durch Locked-in-Effekt
Immer mehr Verlage experimentieren mit den Social Media-Plattformen, vor allem mit Facebook und Twitter. Ziel ist eine neue Form der Kundenkommunikation – der Mehrwert für das Business ist nicht immer klar und kann auch nur schwer mit Kennziffern ermittelt werden. Einige Verlage jedoch nutzen Social Media-Elemente, um ihre Produkte zu verbessern – sie machen Community- und Collaboration-Tools zu Bestandteilen ihrer Produkte. Beispiele hierfür sind originäre Communitys wie urbia.de, chefkoch.de oder holidaycheck.de, aber auch Fachportale wie die Haufe-Communities und jurion.de, die innovative Arbeitsumgebung für Juristen von Wolters Kluwer. Dass dieser Ansatz auch im Firmenmkundengeschäft prächtig funktioniert, zeigt die Erfolgsgeschichte von speexx.com, dem B2B-Angebot der digital publishing AG. Wem die Integration von Social Media in das Produktangebot gelingt, der reüssiert in der Königsdisziplin Kundenbindung: Tiefer als durch persönliche Inhalte und Vernetzung lässt sich ein Nutzer wohl kaum an ein Angebot binden, wie Facebook millionenfach beweist. Ein Phänomen, das in der E-Business-Theorie übrigens schon seit Jahren als „Locked-In“-Effekt bekannt ist.

Geschwindigkeit ist (k)eine Hexerei: Rapid Prototyping wird Handwerkszeug
Verlage haben ihre gewohnten Vorgehensweisen, sie denken und handeln langfristig. In einer Zeit, in der Techniktrends über Nacht entstehen können, in der neue Wettbewerber vom Himmel fallen oder Medienhypes nach einer Reaktion verlangen, stößt diese langfristige Arbeitsweise an ihre Grenzen. Heute lautet die Frage: Wie schnell sind wir in der Lage, auf neue Entwicklungen zu reagieren, vorbei an allen Planungen? Geschwindigkeit wird zum Wettbewerbsvorteil, auch Verlage müssen die neuen Regeln des Rapid Prototyping lernen.

Erfolgsfaktoren Innovation und Projektteams
Verlage müssen innovativer werden, in allen Bereichen: Von der Produktentwicklung über das Marketing bis hin zur technischen Infrastruktur. Dieses Ziel können sie nur erreichen, wenn sie ihre bisherige, abteilungsorientierte Arbeitsweise durch ein projektorientiertes Vorgehen ergänzen. Nur abteilungsübergreifende Projektteams sind noch in der Lage, komplexe Innovationsprojekte zu managen.

Neues Denken in der Business-Steuerung von Innovationsprojekten
Neue Produkttypen und vor allem andere Erlös- und Geschäftsmodelle stellen Verlage vor erhebliche Probleme: Mit den gewohnten Planungsinstrumenten stoßen sie an Grenzen oder verhindern sogar Innovationen. Bisher galt: Jeder professionelle Verlage verfügt über ein Kennziffernsystem für die Steuerung von Neuprodukten. Bei vielen neuen Digitalprodukten greift dieses Steuersystem nicht (wie z.B. eine auf drei Jahre berechnete Renditeerwartung). Eine radikale Lösung für dieses Dilemma habe ich jüngst von einem Fachverlag gehört: Er verzichtet bei Neuprojekten auf eine detaillierte Businessplanung, da alles andere Kaffeesatzleserei sei. Vorgegeben wird ein Rahmen aus Personal- und Finanzressourcen, die Budgetierung läuft über den Entwicklungsetat. Geht das Projekt schief, entsteht kein Problem in der Bilanz, gelingt es, können Zusatzerlöse verbucht werden und das neue Produkt kann in die normale Finanzplanung überführt werden.

Endkundenmarketing und CRM gewinnen weiter an Bedeutung
Wahrlich kein neuer Trend, schon oft von uns prognostiziert, aber immer noch ganz oben auf der Agenda: Konsequentes Endkundenmarketing gewinnt weiter an Bedeutung. Viele Verlage stehen erst am Anfang und müssen zunächst einmal eine CRM-Strategie definieren: Für welche Zwecke sammeln wir wo welche Kundendaten? Die Umsetzung ist nicht einfach, sowohl was die Datenerfassung- und pflege betrifft, als auch Datenauswertung. Der Benefit: Eine gute CRM-Infrastruktur macht ganz neue Produkte möglich, die sich aus der Datenanalyse ergeben.

Kommentare

6 Kommentare zu "Ehrhardt F. Heinold: Die Verlagstrends 2012"

  1. Innovation, Rapid Prototyping . . .
    Alles bekannte Wörter, aber Verlage leben noch im 18. Jahrhundert. Ich habe sechs Sachbücher publiziert auch bei John Wiley, aber wenn man heute mit einem kritischen Thema kommt, dann fährt man gegen eine Mauer. Ich folge den Schriften von Stéphane Hessel (Indignez-vous, Engagez-vous) mit Gewicht auf die Situation Deutschlands. Als Ingenieur, Physiker, informatiker und Philosoph habe ich das nötige Rüstzeug, aber alle haben Angst wegen „political correctness“. Hat denn keiner mehr Mut? Auch wenn er wie Thilo Sarrazin nachher gemobbt wird.
    ivo.steinacker@boukephalas.com

  2. The U.S. Justice Department has warned the tech titan and five U.S. publishers that it plans to sue them for allegedly colluding to raise the price of electronic books.

  3. Interessanter Artikel, danke!

  4. Ja, die Trends der Woche 😉

  5. Sehr guter Artikel. Vor allem den Punkt „Erfolgsfaktoren Innovation und Projektteams“ kann man nicht genug hervorheben, wie ich finde: http://ebooknews.tumblr.com/post/17312579880/die-projekt-geselleschaft

  6. feiner artikel. danke!
    1 vorschlag: weil die entwicklung eher schneller wird, ist ein derartiger artikel halbjährig, wenn nicht gar quartalsmäßig wert. mit kurzem rück- und ausblick. oder?
    ich würds lesen.

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