buchreport

5000 Buchhandlungen mit einem Shop

Ran an den Riesen: Lorenz Borsche, Vorstand der buchhändlerischen Genossenschaft eBuch, bringt als Konter gegen die Amazon-Herrschaft eine mögliche Allianz auf das Tapet. Diese könnte dem Giganten im Gegensatz zum stationären „Buy local“-Ansatz direkt in seinem Königreich auf den Leib rücken. Der Querdenker skizziert das Bild einer Sortimenter-Phalanx in Form eines einheitlichen, gemeinsamen Webshops für alle Buchhändler. 
Während Amazon im Webhandel mittlerweile global Maßstäbe setzt, habe sich die Branche laut Borsche durch ihr heterogenes und von Partikularinteressen bestimmtes Klein-Klein-Spiel digital völlig verzettelt. Neben den Shoplösungen der Barsortimente und der Börsenvereins-Wirtschaftstochter MVB gebe es „jede Menge selbst programmierter Websites, eine schrecklicher als die andere“. „Im konkurrierenden Dickicht von Halbgarheiten war der Kunde der Dumme und ist zu Amazon abgewandert“, konstatiert der eBuch-Vorstand in einem Thesenpapier, das derzeit in Kreisen der Genossenschaft kursiert. Ergo trommelt Borsche für eine Einheitslösung. 
Hier der komplette Text von Borsche:
Amazon Paroli bieten?
Dass nun engültig alle „den Schuss“ gehört haben, die Verleger, die Buchhändler und auch die oberen Etagen unseres Verbands, das ist ja schon mal ein Fortschritt. 
Verbandskritik ist wohlfeil zu haben in diesen Tagen. Und in Teilen ist sie ja auch berechtigt. Wenn Verbraucher darauf hinweisen, dass Amazon so eine tolle Datenbank mit den vielen Covern hat, dann fehlt vielen offenbar die Hintergrundinformation, woher der Amazon die hat. Es ist nämlich im Grunde vor allem der Datenstamm des VLB, und Amazon hat diese Datenbank schon vor langer Zeit eingekauft und reüssiert damit. Unter anderem, weil Amazon eine Google-ähnliche Suche darauf gesetzt hat, statt der – für Verbraucher völlig unhandlichen – buchhändlerischen Genausuche. „Meinten Sie vielleicht“ ist das Stichwort und „tippfehlerresistent“. Und was im VLB, weil ausgelistet, immer schon fehlte, kann der Kleinverleger bei Amazon selbst eintippen. Womit die Amazon-Datenbank tatsächlich einen Standard gesetzt hat. Jetzt ist das Gejammere groß.
Sind wir alle nur blöd gewesen? Nein, durchaus nicht. Manch einer mag sich erinnern, dass es einmal ein Projekt namens DBDB – Deutsche Bücherdatenbank – gegeben hat. Das Unmögliche sollte 2001 möglich werden: Die beiden großen Barsortimente warfen ihre Bibliographieabteilungen in einen Topf und wollten die DBDB stemmen. Die Technik war ausgefeilt, die DBDB sollte allen zur Verfügung stehen, unabhängig von der Listung der Titel in den Barsortiments-Katalogen. Wer Daten nicht im Stream (ONIX etc.) liefern konnte, hatte ein grossartiges Online-Formular für die Eingabe selbst aus einem Internetcafe zur Verfügung.
Dass die DBDB unabhängig sein sollte, jeder Kleinstverlag listen dürfe, das hat man den Barsortimenten nicht geglaubt. Zu groß war die Angst der Verleger, in eine vermeintliche Abhängigkeit zu geraten. Hinter den Kulissen wurden viele Strippen gezogen, die DBDB scheiterte.
Und nun gibt es eine „DBDB“, aber nur zum Preis der Unterwerfung unter einen Kapitalisten reinsten Wassers. Dass die Großhändler – neben allen marktwirtschaftlichen Impulsen – auch von sozialer Verantwortung getrieben sind, das wollten viele Verleger und auch Buchhändler einfach nicht wahrhaben, es war ja immer so bequem, einen Buhmann zu haben.
Und so war dann Platz für einen richtig bösen Buben, der das Prinzip „divide et impera“ perfekt beherrscht, allen Beteiligten den letzten Cent abquetscht und mit unwirtlichen Arbeitsverhältnissen das Sozialgefüge in Gefahr bringt. Kundenzufriedenheit ist das Zauberwort der Internetökonomie, denn damit schafft man Marktbeherrschung, und Amazon investiert dort jeden Cent, egal unter welchen Bedingungen der erwirtschaftet wurde. 
Genau das ist der Unterschied zur „old econoymy“, in der ein Krupp seinen Arbeitern noch bezahlbaren Siedlungswohnraum verschaffte und anständige Löhne zahlte, weil er sagte: Wer denn sonst soll meine Produkte kaufen, wenn meine Arbeiter es nicht können? Die jungen Internetpioniere, ob Amazon oder Ebay, ob Jamba oder Zalando, haben weder derlei gesamtwirtschaftlichen Blick noch daraus erwachsende Skrupel, dass eine Gesellschaft nicht auf pure Profitmaximierung setzen darf, wenn sie nicht unwohnlich werden soll.
Mit Anabel haben wir 2004 – kaum später als die DBDB – versucht, ein rationelles  Netzwerk aus Buchhändlern, Großhändlern und Verlagen aufzubauen. Das hat wenigstens die völlig verrückte Kleinteiligkeit der Bestell- und Logistikwege beseitigt, ohne den Verlagen den direkten Kontakt mit ihren Buchhändlern und die genaue Sicht auf ihre dorthin gelieferten Titel zu versperren. Wir haben damit viele kleine und kleinste Buchhändler in die Lage versetzt, unter Berücksichtigung aller Rationalisierungseffekte konditionell mit den mittleren und großen Ketten mitzuhalten, sich mehr und besser um ihre Kunden kümmern zu können und – zu überleben. Wir mussten gegen viel Misstrauen kämpfen, Misstrauen seitens der Buchhändler, seitens  der Vertreter und Verleger und nicht zuletzt auch seitens des Verbands, der uns so manchen Stein in den Weg gelegt hat, statt –- zum Beispiel beim Thema Internet-Shops und VLB-Daten – die Hand zu reichen.
Was wir aber nicht geschafft haben: einen einheitlichen, gemeinsamen Shop-Website für unsere vielen hundert Buchhändler, aber auch für Antiquare und für Kleinverleger, die dort ihre Titel, die nicht im Barsortiment geführt werden, einstellen und dann selbst versenden können. Es ist uns noch nicht mal gelungen, außer dem Barsortiments-Datenangebot auch das VLB in die Suchmaschine für unsere eigenen Webshops einzubinden. Der Grund? Prohibitive Preispolitik aus Frankfurt. 
15.000 Euro kostet heute das VLB für Amazon und für jeden, der die *Rohdaten* haben will, um 2000 waren es 50.000 DM. Für Amazon war und ist das ein Klacks. Wir aber hätten diesen Preis für jeden Webshop jeder Buchhandlung bezahlen sollen. Ja, da kann man schon die Verbandspolitik mit verantwortlich machen, dass eine anständig befüllte Suchmaschine nicht zu realisieren war – und kommen Sie mir nicht mit der direkten Einbindung der Suchmaschine VLB per Webformular, die günstiger zu haben gewesen wäre, denn einen Medienbruch – wie: Suchen Sie erst hier (BS-Datenstamm) und dann dort (VLB) –, das akzeptiert der Kunde nicht, genausowenig, wenn Titel fehlen. 
Im Bereich E-Books haben wir dann erstmals verwirklicht, was vielleicht die einzige Chance sein könnte: einen gemeinsamen Website aller unsere Buchhändler unter www.ebuch.de. Und in diesem Fall war die MVB hilfreich, sehr hilfreich (ausrücklicher Dank an Herrn Schild und die Frankfurter). Die Barsortimente, die etwas Ähnliches mit ihren Shop-Modellen schon um die Jahrtausendwende angeboten hatten, haben damit nicht viele Blumentöpfe gewinnen können. Auch, weil es neben buchkatalog.de und libri.de noch buchhandel.de als Konkurrenz gab und gibt. Dazu noch jede Menge selbstprogrammierter Websites, eine schrecklicher als die andere. In diesem konkurrierenden Dickicht von Halbgarheiten war der Kunde der Dumme. Und ist zu Amazon abgewandert.
Im Schnitt 3% Umsatz macht die stationäre Buchhandlung mit einem eigenen Webshop online. Klein oder groß, der Schnitt ist leider so. Ausnahmen wie Weltbild und Thalia können davon nicht ablenken. Abgesahnt hat nur Amazon.
Und das ganz große Plus der stationären Händler, die Besorgung von 95% aller Titel über Nacht und ganz ohne Premiumgebühr, aber noch viel besser: den Blick ins Regal mit dem Sigel „Sofort abholbar“ – das bieten unsere Web-Shops bei geeignetem WWS schon seit dem Jahr 1999 – das konnte einfach nicht richtig kommuniziert werden. Bis heute nicht.
Und schon steht die nächste kleinteilige Zersplitterung der Branche ins Haus: der gemeinsame Webshop für E-Books, getragen von Telekom, Weltbild, Bertelsmann Club und Thalia. Toll.
Wenn ich mir was wünschen dürfte, dann wäre das: 
  • Ein Shop, an dem einfach alle Buchhändler gegen wirklich kleines Geld teilnehmen können, 10 Euro im Monat, für Verbands-Mitglieder frei, d.h. aus den Mitgliedsbeiträgen bezuschusst. 
  • Dito die Verlage. 
  • Mit einer Datenbank, die alle jemals im VLB gelisteten Titel enthält (was die Antiquare richtig freuen dürfte). 
  • Mit der Anzeige, ob ein Buchhändler aus meiner Region den Titel abholbar bereithält, wenn ich ihn dringend benötige. Oder mir über Nacht sicher  besorgen kann – leicht zu leisten mit der passenden Barsortiments-Lieferbarkeitsabfrage still im Hintergrund.
  • Mit Antiquariatsangeboten, mit Backlistangeboten zum Direktversand durch die Verlage bei allen Titeln, die die Großhändler nicht führen (das sind nicht gar so viele). 
  • Mit einem BAFIN-lizensierten einheitlichen Abrechnungssystem (durch die BAG?). Bei 10.000 Teilnehmern wäre  das sogar mit 10 Euro im Monat finanzierbar.
  • Und ja, verdammt nochmal, unter Verzicht auf die im Internet völlig unwichtige „Individualität“ der jeweiligen Buchhandlung; Adresse, Öffnungszeiten, Teamfoto und Veranstaltungskalender, das muss genügen. Meinetwegen für alle, die das haben wollen, noch eine individuelle Empfehlungsseite, das ist machbar. Aber nicht mehr, keine eigenen Farben, kein „ich muss das Banner aber genau hier platziert haben, und das Suchfeld bitte unten links“ und ähnliches G’schmarrn. Aber dafür mit einem wirklich anständigen Rezensions- und Bewertungssystem.
Der Kunde, der online bestellt, dem ist doch egal, ob der Website optisch zum Markenkern der Buchhandlung passt. Und der Kunde, der seine Buchhandlung kennt, dem ist das doch auch egal, wenn er sein Buch am nächsten Morgen abholt. Und wenn nicht alle Buchhandlungen und alle Verlage an dem einen Rezensions- und Bewertungssystem hängen, sondern jeder Webauftritt den eigenen pflegt, dann, ja, dann kommt doch niemals was G’scheit’s zusammen.
Herr Beyer vom Neuen Weg hat im Börsenblatt (http://urly.de/13c5a – No.16) ganz richtig formuliert, was ein gemeinsamer Auftritt alles würde leisten müssen. Und wenn ein solcher Shop gegen Amazon bestehen können soll, dann können wir uns die kleinteilige optische Individualität, den bunten Flickenteppich, einfach nicht leisten. Niemand will zu einer gesichtslosen Kette mutieren, aber die Individualität muss im Laden stattfinden, nicht im Netz, wo sie nur stört, weil man auf jedem neuen Website erstmal das Suchfeld suchen muss, von den Eigenarten der diversen Suchmaschinen oder der Verschlagwortung mal ganz zu schweigen. 
Ergonomie – und die ist dem Netzkunden wichtig – geht immer auf Kosten der Individualität. In neuen Autos finden Sie sich sofort zurecht, weil alle Schalter und Hebel dort sind, wo sie hingehören. Das war früher anders, liebenswert, aber unpraktisch. Blinkhebel links? Rechts? Hupe ist wo? Und das ist im Netz genauso. Google setzt den Standard, und niemand kann Erfolg haben, der sich dem verweigert.
Unser Verband, das sollte man auch klar sagen, das ist eher eine Behörde, und Behörden waren noch nie wirklich gute Unternehmer. Deshalb: Nein, einen solchen Shop, das kann der Verband nicht leisten, das müssen wir schon selber stemmen. Aber wenn die nächste Vorsteherin / der nächste Vorsteher ein solches Projekt nicht nur wohlwollend begleiten, sondern – so weit als verbandsseitig möglich – fördern würde, dann wäre das mehr wert als jedes noch so geniale Buchmarketing. Dazu müssen alle, wirklich alle, an einen Tisch. Welche Kandidatin, welcher Kandidat könnte das schaffen? Meine Stimme wäre ihr (oder ihm) sicher.
Und wenn wir dann endlich den Shop haben sollten, der sich sehen lassen kann, der alle unsere oben angeführten Vorteile – und noch ein paar mehr, die ich hier nicht öffentlich preisgeben möchte – nutzt, dann würde ich liebend gerne auf der Frontpage annoncieren:
1 Mio Bücher – 15.000 Verlage – 5000 Buchhandlungen – EIN Shop!
 …. und Ihr Geld bleibt hier am Ort – fließt nicht nach Luxemburg!
Lorenz Borsche

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