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Auffällige Mentalitätsunterschiede

Nach Jahren klarer Marktdominanz der Mayerschen in Dortmund, die in bester Lage ein 5000-qm-Buchkaufhaus betreibt, hat Thalia in unmittelbarer Nachbarschaft eine 1800-qm-Filiale aufgemacht. An keinem Standort treffen Filialkonzepte auf so engem Raum aufeinander. Im buchreport-Interview beleuchtet Mayersche-Chef Hartmut Falter die Situation, erläutert die Philosophie der eigenen Buchkette und wundert sich über die Mentalitätsunterschiede der Buchkunden an den verschiedenen Standorten.

Haben Sie sich träumen lassen, dass auch ein 5000-qm-Kaufhaus einen Platz nicht besetzt und die Konkurrenz nicht fernhält?

Für eine Stadt mit mehr als einer halben Millionen Einwohner ist es völlig normal, mehr als eine große Buchhandlung zu haben. Gewünscht haben wir uns diese Wettbewerbssituation natürlich nicht. Ich glaube auch nicht, dass es der ausdrückliche Wunsch von Thalia war, sich uns direkt gegenüberzusetzen. Aber die Toplagen sind sehr begrenzt und das beste Stück des Westenhellwegs ist nur 200 m lang. Wer also in bester Lage vertreten sein will, findet sich automatisch in der Nachbarschaft.

Mayersche und Thalia haben als populäre Buchhandlungen eine vergleichbare Grundausrichtung. Wie können sie sich voneinander abheben?

Zu dem Konzept des Wettbewerbers kann ich natürlich nichts sagen. Die Auswahl in beiden Buchhandlungen ist gut, aber ich denke, dass die buchhändlerische Seele sowohl bei unseren Mitarbeitern als auch in unserem Hause insgesamt spürbarer ist. Am Ende wird entscheidend sein, wie der Kunde das wahrnimmt. Wir denken, dass wir in allem etwas besser sind, etwas kompetenter, professioneller und hier am Standort auch eindeutig erfahrener.

Mit der Erfahrung strukturieren Sie jetzt um. Wie oft überdenken Sie die Konzepte?

In der Regel beträgt der Lebenszyklus von Konzepten drei bis fünf Jahre. Nachdem wir hier vor fünf Jahren noch einmal massiv erweitert hatten, war es jetzt an der Zeit, in die Restrukturierung zu gehen. Neben gestalterischen Aspekten verändern Abteilungen ihren Charakter und ihre Größe. Wir haben immer schon bewusst Abteilungen innerhalb der Buchhandlung geschaffen, auch wenn andere dies kritisch gesehen haben, weil sie meinen, die Transparenz sei weg. Wir strukturieren unsere Flächen zu Lasten der Übersichtlichkeit, aber zu Gunsten der Intimität. Das verstärken wir auf den bis zu 2000 qm großen Etagen in Dortmund, so dass bestimmte Bereiche stärker als Abteilungen erkennbar werden, durch Farbe, durch bauliche Maßnahmen. 

Welche Rolle spielt die Warenwirtschaft bei der Konzeption?

Tatsächlich entscheidet der Kunde mit dem, was er kauft, das Sortiment entscheidend mit. Insofern hat die Warenwirtschaft eine dienstleistende, wenn auch keine konzeptionelle Funktion. Das interessante oder charmante in unserer Branche ist auch, dass in unserem Dortmunder Haus 100.000 Titel angeboten werden, die Überlappung mit ähnlich großen Häusern in Aachen und Köln aber nur zu 50% besteht. Die Toptitel in den einzelnen Segmenten sind zwar meist dieselben, aber ansonsten stehen andere Gartenbücher, andere Pilzbücher, andere Schachbücher im Regal.

Sind die lokalen Mentalitäten wirklich in allen Segmenten spürbar?

Ja, das ist auffällig und macht einen manchmal sprachlos. Es hängt natürlich mit der sehr großen Breite des Angebots zusammen, und die Warenwirtschaft hilft, so etwas zu erkennen. Sie hilft Buchhändlern, mit Verstand darüber zu entscheiden, welche Titel in den Regalen stehen müssen. Aber die Mitarbeiter sind es, die entscheiden und nicht die Warenwirtschaft, auch weil die Buchhändler sonst weniger Bereitschaft haben, das zu verkaufen. Es ist viel wichtiger, dass der Buchhändler hinter einem Titel steht, als dass objektiv gemessen etwas anderes besser verkäuflich ist. Es ist ein hochemotionales Thema. 

5000 qm sind auch gut geeignet, um mit neuen Waren zu experimentieren wegen der notwendigen Zusatzumsätze. Gibt es in dem Bereich flächenübergreifende Erkenntnisse?

Auch dort gibt es Besonderheiten: In Dortmund sind Regionalia-Bücher und -Nonbooks ein extrem starkes Thema, weil die Bürger hier sehr ortsverbunden sind. Ansonsten haben wir viele Sortimentsergänzungen, die Musik, das internationale Buch und auch das eine oder andere aus dem Geschenkbereich. Mit Spielwaren haben wir bereits seit 10 Jahren Erfahrung und bauen diesen Bereich aus. Das heißt aber nicht, dass wir der beste Spielwarenhändler vor Ort werden wollen. Es gibt bestimmte Spielwaren-Sortimente, die sehr gut zum Buch passen aber es wird immer den Charakter einer Buchabteilung plus Nonbook haben, nie einer Gemischtwaren-Abteilung. Darum ist das auch gar nicht so spektakulär. Die Option, neue Sortimente zu erfinden und auf einmal 500 qm mit einer neuen Produktgruppe zu bestücken, gibt es nicht. 

Profitieren Sie von der Schwäche des übrigen Fachhandels mit der Perspektive, zum Kultur- und Medienhändler zu werden?

Die Kernkompetenz bleibt das Buch, dazu gibt es in mehrfacher Hinsicht schöne Ergänzungen. Die Kunden sind im Haus, sie sehen es als Kompetenzgewinn, das auch noch mitzunehmen. Aber das geht nicht in Richtung Warenhaus.

Sie haben eine Musikabteilung eingerichtet. Wie viel Kompetenz muss im Hause sein, um ein solches Thema ernsthaft vertreten zu können?

Das ist für alle neu hinzukommenden Sortimente eine Herausforderung. Wir müssen uns jeweils rantasten. Unter unseren 45 Mitarbeitern in Dortmund sind zwei, die sich mit dem Musiksegment sehr gut auskennen und das besonders beobachten. Vom Kundenanspruch ist eine Abhörstation wichtiger als ein Beratungsgespräch. Bei der Auswahl der Titel muss sich erneut zeigen, was jeweils vor Ort geht. Da spielt dann Warenwirtschaft wieder eine Rolle.

Sie bauen das Kinder- und Jugendbuch in Dortmund aus, ein regionales Phänomen oder ein Aufschwung der Warengruppe in der Breite? 

Die gestiegene Nachfrage ist überall festzustellen. Dazu haben sicher die großen All-Age-Bestseller „Harry Potter“ und die „Bis(s)“-Serie beigetragen, aber auch in der zweiten Reihe gibt es eine große Zahl starker Titel. Wir haben immer schon aus Sympathie für diese Warengruppe dem Kinder- und Jugendbuch eine überproportional große Fläche gewidmet. Die zusätzlich integrierten Spielwaren werden das noch beflügeln. Aber alles in allem sind wir überrascht, dass diese Abteilung – trotz der demografischen Entwicklung und der Neigung des Nachwuchses zu elektronischen Medien – Jahr für Jahr zweistellig wächst. Das ist eben nicht nur auf die Toptitel zurückzuführen und das macht schon ziemlich hoffnungsfroh. Auch auf der Leipziger Buchmesse war das Interesse der Kinder und Jugendlichen ja phänomenal, und man sieht es gerade Kindern an den Gesichtern an, dass sie sehr interessiert sind und dort nicht einen Pflichttag verbringen müssen.
Neben der Belletristik spielen auch Sachthemen eine Rolle: Wir haben einen Junior-Campus als Bestandteil der Jugendbuchabteilung, wo wir das Kinder-Sachbuch im spielerischen Bereich präsentieren, weg vom Zeigefinger hin zum spielerischen individuellen Lernen. 

Welche Rolle spielen dabei neue Medien?

Bei Nintendo gibt es einige Produkte, die es verdienen, auch in den Fokus gestellt zu werden, ohne dass man das übertreiben sollte. Denn wir sind kein Elektrofachmarkt. Wir müssen den Spagat schaffen, die junge Zielgruppe zu erreichen, ohne die wertkonservative Kundschaft zu vergraulen.

In Buchhandlungen sind zunehmend neben den Info-Arbeitsplätzen auch weitere Monitore zu sehen. Ein notwendiger Modernitätsnachweis?

Auch bei uns hängen einige Bildschirme, in Düsseldorf ein paar mehr, woanders weniger. Entscheidend ist, dass sie eine sinnvolle Funktion erfüllen, nämlich die Kunden zu informieren über Veranstaltungen und News aus der Buchhandlung. Was wir ablehnen sind Anwendungen, die im Laden keinen Sinn machen. Man muss als Buchhandlung sehr aufpassen, dass man es nicht übertreibt, weil wir bei unseren Kunden eine gewisse Erwartungshaltung erzeugen. Wenn wir sagen, wir vermitteln Kulturprodukte, dann sollte man das auch authentisch und ganzheitlich so transportieren. 

Neben dem Einkaufserlebnis im stationären Geschäft spielt unter dem Schlagwort Multi-Channel das Online-Geschäft eine wachsende Rolle. Wie wollen Sie Buchhandlungen und Internet-Shop verbinden? Eine Reihe von Wettbewerbern holt den Online-Shop quasi ins Ladengeschäft…

Da wollen wir uns bewusst abheben. Wenn es das Bedürfnis gibt, ein Buch von zu Hause zu bestellen, glaube ich nicht, dass es sinnvoll ist, das Bedürfnis krampfhaft in den Laden zu verlagern. Zwar haben wir auch Kundenterminals mit den Mayersche.de-Seiten, aber wir sehen unseren Hauptansatz darin, bekanntzumachen, dass es unseren Online-Shop gibt. Da gibt es noch viel Nachholbedarf. Es wissen immer noch erschreckend wenig Kunden, dass sie bei uns auch im Internet bestellen können. Aus Kundensicht werden die Web-Auftritte des stationären Buchhandels primär mehr als Infokanal gesehen, der zeigt, was gerade in der Buchhandlung läuft. Wir müssen jetzt offensiver vermitteln, das man bei uns sehr gute Leistung auch im Internet-Shop bekommt, ohne jetzt Bestellterminals in den Buchhandlungen aufzustellen. Wir werden verstärkt in den Läden auf die Web-Adresse verweisen. Darüber hinaus gibt es auch bei uns Überlegungen, wie wir die Multi-Channel-Thematik zum Wohle des Kundennutzens herausarbeiten können.

Das hat die gesamte Branche versäumt… 

Das hängt auch damit zusammen, dass viele Buchhändler, auch unsere Mitarbeiter, den eigenen Online-Shop eher als Konkurrenz empfunden haben und nicht von sich aus darauf hinweisen. So hat sich Amazon als Online-Buchshop etablieren können. Von daher hätte ein früheres Engagement vielleicht mehr Sinn gemacht. Amazon macht auch einen sehr guten Job, aber man merkt, dass das Konzept von den Kunden stärker hinterfragt wird, je mehr dort Waren angeboten werden, die mit Büchern und Medien nichts zu tun haben. Wir spüren das, sonst wären unsere eigenen Online-Shop-Zuwachsraten nicht so groß.

Wie groß der Onlineshop-Anteil bei der Mayerschen?

Einstellig, mit dem Ziel, zweistellig zu werden.

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