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Hajo Hoffmann: Die Erfolgsstory der Apps – und wie Medienhäuser noch mehr daraus machen können

Hajo Hoffmann: Die Erfolgsstory der Apps – und wie Medienhäuser noch mehr daraus machen können

Apps und mobilen Websites wächst eine immer wichtigere Rolle im Mediengeschäft zu – das zeigt ein Blick auf aktuelle Nutzungsdaten. Auf der anderen Seite sind die Möglichkeiten mobiler Informationsangebote nicht ausgereizt, wie eine aktuelle Studie der Universität Passau moniert. Vielen Verlagen erscheint der Markt schwer berechenbar, gerade im Hinblick auf Paid Content. Werden sich Investitionen lohnen? Eine überlegte crossmediale Strategie hilft dabei, das Potenzial zu erschließen, das im mobilen Mediengeschäft steckt, und die Risiken zu minimieren.

Die Kurven zeigen steil nach oben: Während die Online-Nutzung generell – also der Anteil der Bevölkerung in Deutschland, der zumindest gelegentlich ins Internet geht – in den Jahren 2011 bis 2013 nur noch mäßig anstieg (von gut 73 auf 77 %; allerdings bei deutlich erhöhter Nutzungsdauer), ging es bei der mobilen Internetnutzung rasant aufwärts. So verdoppelte sich der Anteil der Mobilnutzer unter den Surfern im selben Zeitraum von 20 auf 41 %; noch steiler ging es bei der Nutzung von Apps nach oben – von 17 auf 44 %, wie die ARD/ZDF-Onlinestudie 2013 ergeben hat.

Imposante Sprünge

Auch die IVW vermeldet imposante Sprünge – so stieg die Zahl der Visits auf den gemessenen mobilen Angeboten von Februar bis Mai 2014 (mit einem Durchhänger um die Osterfeiertage) um 20 % auf knapp eine Milliarde. Die soeben vorgelegte Allensbacher Werbeträger–Analyse (AWA) 2014 bestätigt den starken Anstieg der mobilen Internetnutzung mit Handheld-Geräten sowie die dynamisch wachsende Ausstattung mit Smartphones und Tablet-PCs. Diese Zahlen haben sich binnen Jahresfrist fast verdoppelt (bei Tablets mehr als das, aber auf niedrigerem Niveau). Und wie bereits im Vorjahr zeigen die AWA-Charts eindrucksvoll, wie Reichweitenverluste bei Print durch das digitale Angebot kompensiert werden können.

Mit Apps lässt sich auch Geld verdienen: Der Branchenverband Bitkom prognostiziert auf Basis des Marktforschungsinstituts research2guidance für 2014 einen durch Apps generierten Umsatz von 717 Mio. Euro, ein Plus von 31 % gegenüber dem Vorjahr (547 Mio. Euro). 2011 waren es noch 210 Mio. Euro. Noch schwindelerregender sind die Zahlen, die Nielsen zum Entwicklung des US-Werbemarkts liefert. Die mobilen Werbeausgaben sollen 2014 im Vergleich zum Vorjahr um 83 % steigen, damit 10 % der Gesamtwerbeausgaben erreichen und „die Print und Radiowerbung erstmals überflügeln“, wie der Fachdienst mobilbranche.de unter Berufung auf den Analysten eMarketer resümiert. In Deutschland liegt der Anteil mobiler Werbung am Gesamtwerbemarkt noch bei unter einem Prozent. Auch die Nutzungsdauer von Apps ist in den USA laut Nielsen innerhalb von zwei Jahren um 65 % auf über 30 Stunden pro Monat gestiegen. Das Fachportal Techcrunch weist in dem Zusammenhang darauf hin, dass User sich in der Regel auf rund zwei Dutzend Apps beschränken – was zeigt, wie wichtig die Markenentwicklung in diesem Zusammenhang ist.

„Mangel an journalistischen Ideen“

Allerdings schöpfen die bestehenden Angebote das Potenzial nicht aus – jedenfalls ist dies das Fazit einer am Lehrstuhl für computervermittelte Kommunikation der Uni Passau entstandenen Studie, erschienen in den Media Perspektiven (PDF-Download). Die aufwendige Inhaltsanalyse nahm sich mehrere hundert angebotene journalistischen Apps vor und stellt einen „Mangel an journalistischen Ideen für das Medium“ fest: Innovative inhaltliche und gestalterische Ideen seien selten, die Angebote würden den Möglichkeiten des neuen Mediums derzeit noch nicht gerecht. Mangels Verlinkungen zu anderen verlagseigenen Angeboten und durch die Fokussierung auf wenige Medienformate, meist Text plus Bild, sei vor allem die crossmediale Komponente dürftig entwickelt.

Woran liegt’s? Der Branchendienst Meedia sinniert über die Gründe – so fehle es an Geld für überzeugendere Mobilangebote, vor allem aber seien Konzepte und Strategien für mobile Apps immer noch „zu sehr von der bestehenden etablierten linearen und nicht-digitalen Inhalte- und Erlöswelt her gedacht“ worden.

Die Gefahr, in Schönheit zu sterben

Sicherlich sollte bei einer strategischen Herangehensweise mehr herauskommen als Inhalte einfach 1:1 online zu stellen. Allerdings ist es auch eine Illusion, zu glauben, nonlineare Angebote in Apps oder generell Mobilangeboten würden zahlungswillige Nutzer in Scharen anziehen und als Basis für ein Geschäftsmodell ausreichen. Ein gutes Beispiel bietet die legendäre Snowfall-Reportage der New York Times, ein multimedial aufbereiteter Bericht von einem Lawinenunglück, der in sechsmonatiger Bearbeitungszeit entstand. Durchaus beeindruckend, eine zu Recht imagefördernde Zierde für ein Medium – aber flächendeckend angewandt auch eine wunderbare Methode für einen Verlag, um in Schönheit zu sterben.

So dürften nur für einen kleinen Teil der Medien Zauberworte wie „nonlinear“ den Schüssel für die Zukunft bieten – viel wichtiger erscheint es, erst einmal beim Bestehenden anzusetzen und dies optimal aufzubereiten. Denn nicht vergessen werden darf, dass die etablierten Medien auf ihrem Themengebiet und in ihren jeweiligen Zielgruppen im Internet in der Regel die höchsten Reichweiten haben. Warum? Weil die Marken für die entsprechende Qualität stehen (wie auch immer die im Einzelfall definiert ist). Es gilt nun, aus diesen Marken auch digital noch mehr zu machen.

Usability meist noch in den Kinderschuhen

Im ersten Schritt einer crossmedialen Erweiterung mit mobilem Content steht also die Einbindung des Projekts in die Markenentwicklung, und zwar konsequent aus Nutzersicht (schnell hingeschrieben, schwer umgesetzt): Welcher Kanal transportiert welche Informationen und erfüllt damit welchen Zweck, wie beziehen sich die Kanäle aufeinander und wie finanziert sich das Angebot? Daraus folgen im zweiten Schritt die praktischen Entscheidungen, welche Medienformate in welchem Umfang sinnvollerweise einzusetzen sind. Zu den relativ gesicherten Prognosen dürfte zählen, dass künftig das Bewegtbild, auch wegen der weiter steigenden Bandbreiten und Leistungsfähigkeit der Endgeräte, an Bedeutung gewinnen wird. Als fast gleichgewichtiger Part tritt neben den Content die Usability, die selbst bei großen Medienmarken in vielen Bereichen noch in den Kinderschuhen steckt; digitale Beiträge auf Smartphone und Tablet sollten beispielsweise zu zitieren und so einfach zu archivieren sein, wie man früher zur Schere griff – selbst bei Topmedien längst nicht Standard.

Im weiteren Sinn zur Usability zählt auch die Frage, ob das Abomodell als Verleger-Wunschtraum auf Dauer im erhofften Umfang akzeptiert wird. Neue Ansätze für Online-Plattformen wie Blendle in den Niederlanden, das zahlreiche holländische Medien als Partner gewonnen hat und eine Bezahlung nach einzelnen Artikeln ermöglicht, oder das Münchener Start-up Laterpay zeigen, dass hier vieles in Bewegung ist.

Inseln in einem Ozean von Informationen

Der amerikanische Branchen-Guru Mathew Ingram jedenfalls zweifelt am Erfolg von Plattformen wie Blendle – wobei die größte Bedrohung nicht darin liege, dass Menschen für Inhalte nicht zahlen mögen, sondern in dem „ocean of free news and information“, die über Apps wie Flipboard oder Zite wie auch über jeden Webbrowser verfügbar sind. Die Nachrichtenindustrie habe eben durch ihre Kostenlos-Kultur ihren eigenen Niedergang eingeleitet.

Ocean of free news and information – genau das ist aber der Punkt, der auch ein starkes Argument für den klassischen Journalismus liefert und vielleicht besonders für redaktionelle Mobil-Strategien gilt. Denn der Journalismus strukturiert das Hintergrundrauschen an Informationen, er schafft in diesem unendlich erscheinenden Ozean Inseln, wobei sich seine notwendige Funktion nicht nur in dem zeigt, was er bringt, sondern gerade auch in dem, was er nicht bringt, weglässt, ausfiltert – die klassische Gatekeeping-Funktion also. Was der Nutzer auch in Zukunft benötigen und bezahlen wird, ist die Strukturierungsleistung des professionellen Journalismus (zu dem selbstverständlich auch professionelle Blogger zählen), die in einer Auswahl relevanter Themen zu einem bestimmten Zeitpunkt in qualitativ hochwertiger Aufbereitung besteht. Mit dieser Strukturierungsleistung befinden sich die klassischen Medien durchaus in einem Wettlauf mit der Strukturierungsleistung von Google und anderen automatisierten Auswahlverfahren. Nur landet der nach aktuellen Informationen Suchende am Ende – dies gilt auch für den Weg über Google – meist wieder bei journalistisch erstelltem Content, egal, ob der im Gewand unabhängiger Medien, professioneller Blogs oder Corporate Publishing daherkommt. So hat Google sicherlich gute Gründe, inzwischen auch Android-Apps zu indexieren.

Erst die Hausaufgaben, dann die Experimente

Die Empfehlung für eine crossmediale Strategie – egal, ob es sich um einen Launch oder Relaunch handelt – lautet also zusammengefasst: 1. Ausgehend von dem Geschaffenen – oder den Zielen – darüber nachdenken, wie sich der USP optimal und nutzerfreundlich in der digitalen Welt umsetzen lässt und 2. Experimente dann wagen, wenn die Hausaufgaben erledigt sind.

Veranstaltungshinweis
Das Thema Mobile Content und crossmediale Strategien wird auch im Fokus des Seminars „Launches und Relaunches von Fachmedien erfolgreich managen“ stehen, das Hajo Hoffmann am 26. November 2014 in der Akademie des Deutschen Buchhandels anbietet.

Dr. Hans-Joachim Hoffmann ist assoziierter Partner bei der Verlagsberatung Heinold, Spiller & Partner mit Sitz in Hamburg. Der Artikel ist zuerst im Newsletter der Verlagsberatung erschienen. Hier das Archiv der sehr lesenswerten HSP-Newsletter.

 

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